Martin Rost
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Die Technisierung der Kommunikation - Folgen für Organisation und GesellschaftMartin Rost Inhaltsverzeichnis
1 VorbemerkungDie Grundlage dieses Textes bildete ein Vortrag an der Uni
Hildesheim am 28.10.1998 im Kolloquium Netz/Werk/Kultur/Technik (Projektleitung: Heiko Idensen).
2 AbstractDokumente werden über die Explikation von Strukturen maschinell verarbeitbar. Im Umgang mit Markup-Languages, etwa HTML für das World-Wide-Web, kommen Autoren unweigerlich mit dem Strukturaspekt von Dokumenten in Berührung. Wird der Strukturaspekt verschriftlicher Kommunikationen vernachlässigt, wie üblicherweise im Umgang mit Textverarbeitungen, bleibt der gewünschte Effizienzschub durch Einsatz moderner Kommunikationstechniken insbesondere für Organisationen aus. Erweitert man die Strukturperspektive von Markup-Languages auf Netz-Protokolle, dann kommen die Folgen der Maschinisierung/ Technisierung für die spezifischen Kommunikationen im Bereich der Ökonomie, Wissenschaft und Politik/ Recht in den Blick. 3 Aufklärung durch SymbolisierungAnläßlich einer zufälligen Begegnung bat ich einen Programmierer, der Fakturierungsprogramme für Handwerker herstellt, mir von den Veränderungen in den Betrieben zu erzählen, die seine Programme einsetzten. Viele seiner Kunden jammerten zunächst darüber, daß die Einrichtung des Computers in ihrem Betrieb so teuer und zeitaufwendig wäre. Was sie dabei am meisten störe, wären gar nicht so sehr die Kosten für die Hard- und Software, sondern das Erlernen der Bedienung und vor allem das wochenlange Eintippen all der Betriebsdaten. Auf diese Weise spare man doch gar keine Zeit mit dem Rechner. In dieser Situation versichere er seinen Kunden - in der Regel erfolgreich -, daß sie ihren Betrieb durch die Datenerfassung überhaupt erst richtig kennenlernten. Vielen Bäcker beispielsweise werde erst infolge der maschinisierten Buchhaltung und dem Durchspielen verschiedener Kostenszenarien klar, daß die traditionell seit Jahrhunderten gegenüber anderen Kaufleuten gewährten 20% Rabatt betriebswirtschaftlich nicht tragbar seien. Außerdem bekämen viele seiner Kunden durch die Computerisierung einen abstrakten Blick auf ihren Betrieb als Organisation. Der Einsatz von Technik habe hierbei eine eindeutig aufklärerische Funktion.Endnote 1 Genau dieser Effekt der Selbstaufklärung durch Symbolisierung und vor allem Maschinisierung wird nun im Umgang mit dem Web subtil und massenhaft freigesetzt. Und zwar in denjenigen Berufen, die mit der Herstellung, Verbreitung und Weiterverarbeitung verschriftlichter Mitteilungen befaßt sind: Berichterstattung, Unterhaltung, Planung, Konstruktion, Verhandlung, Verwaltung, Wissenschaft, Management.... Mit einem Mal zeigt sich, daß in diesen Berufszweigen, deren Vertreter sich selbst gern als Elite und/ oder gesellschaftlich progressive Kraft verstehen, ganz überwiegend im Modus traditionellen Handwerks mit einem allenfalls geringen Grad einer Teilmaschinisierung und grober Arbeitsteilung gearbeitet wird, und sie somit den für das Handwerk typischen kognitiven und vor allem organisatorischen Beschränkungen (Stichwort: Zunft) unterliegen (vgl. Rost 1996f). Als Leitlinien für meine Argumentation in Bezug zur Technisierung der Kommunikation dienen mir drei Stränge:
Diese drei Stränge zur Technisierung der Kommunikation lassen sich in der These zusammenfassen, daß das World-Wide-Web dazu beiträgt, das Projekt der Industrialisierung zu vollenden und damit vermutlich etwas ganz Neues anzustoßen. Seit Ende der 60er Jahre wird beständig die postindustrielle Gesellschaft ausgerufen, obwohl große gesellschaftliche Bereiche, die offensichtlich nunmehr technisierbar sind, noch immer gänzlich vorindustriell operieren. Das in technischer Hinsicht maßgebliche Kriterium für Industrialisierung besteht meiner Ansicht nach nicht in verölten Arbeiterhänden und dem bloßen Vorhandensein großer Maschinen und Fabriken, sondern spezifisch in der Reproduktion von Maschinen aus Maschinen (Anders 1980), die soziale Folgen hat und die sich nur unter spezifischen sozialen Bedingungen überhaupt ereignen kann.Endnote 2 Auf die Kommunikationstechnik angewandt, bezieht sich Technisierung auf die automatisierte Reproduktion von Dokumenten aus Dokumenten. In diesem Sinne gilt es meiner Ansicht nach, analytisch solide und kategorial bescheiden zu bleiben und erst einmal zu prüfen, ob sich nicht zunächst so etwas wie eine Industriealisierungstendenz in den nicht-industriealisierten gesellschaftlichen Bereichen fortsetzt, bevor man die Mechanismen einer industriealisierten Gesellschaft als ausgehebelt behauptet. Ich erlaube mir noch zwei Vorbemerkungen, bevor ich den Strukturaspekt von Dokumenten anspreche.
4 Das SGML-Erbe in HTMLIn der Abbildung 1 ist ein Beispiel für ein Dokument mit den Kennzeichnungen der Hypertext-Markup-Language (HTML) zu sehen. Die nachfolgende Abbildung 2 zeigt die entsprechende Darstellung in einem Web-Browser. Abb. 1: HTML-Quelltext in einem Editor<HTML> <HEAD>Der Briefwechsel der Eheleute Fontane</HEAD> <BODY> <H1>Sicherheit is nicht!</H1> <P>Der 100. Todestag des märkischen Dichters (20. September) war für <STRONG>Gotthard Erler</STRONG>, den Herausgeber der <EM>Großen Brandenburgischen Ausgabe</EM> im Aufbau-Verlag, Anlaß genug, das Bild von Fontanes Frau Emilie korrigieren zu helfen und sie aus ihrer <CITE>Aschenputtelrolle</CITE> zu befreien.</P> <P>Das ist dem Herausgeber mit Hilfe einer dreibändigen Ausgabe des Ehebriefwechsels, von dem man bisher überwiegend nur die Briefe Fontanes kannte, überzeugend gelungen.</P> <P><CODE> Gotthard Erler (Hg.): Emilie und Theodor Fontane - Der Ehebriefwechsel, 3 Bände, Aufbau-Verlag, 198 DM </CODE></P> </BODY> </HTML>
Abb. 2: Die entsprechende Darstellung im WWW-Browser Netscape Die von mir in diesem Beispiel verwendeten Markups (<EM>, <STRONG>, <CITE> und <CODE>) werden selten genutzt. Sie sind deshalb bemerkenswert, weil es sich nicht um Kennzeichnungen von Textbestandteilen unter einem Layout-Aspekt handelt, sondern um die Kennzeichnung unter einem Strukturaspekt. Darin zeigt sich das SGML-Erbe von HTML. SGML ist die Abkürzung für Standard Generalized Markup Language (vgl. Rieger 1995). SGML wurde 1986 als ISO-Norm 8879 (International Standardization for Organisation) festgelegt und dient der Kennzeichnung der Bestandteile von Dokumenten. SGML bildet eine Obermenge zu HTML. Präziser gesagt: HTML wurde von seinen Konstrukteuren als eine sogenannte Document-Type-Declaration (DTD) von SGML entworfen. Oder um es etwas allgemeinverständlicher auszudrücken: HTML wurde als eine spezifische Strukturdefinition für elektronisch zugängliche Hypertext-Dokumente konzipiert. In diesem Beispiel für einen HTML-Quelltext bestand meine Absicht darin, den Herausgeber, dessen Buchtitel, die Hauptintention des Buches und die bibliografischen Angaben zu markieren, um die so gekennzeichneten Daten automatisch in meine Literaturdatenbank übertragen zu lassen. Das Layout meines Textes war mir beim Schreiben vollkommen gleichgültig. Ich habe in diesem Beispiel sogar ausschließlich solche Markups verwendet, die die Struktur des Textes kennzeichnen. Wenn ich diesen Text dann mit dem Web-Browser Netscape lese, interpretiert dieser die Struktur-Markierungen als Layout-Anweisung. Das ist ergonomisch auch ganz vernünftig so, kann aber zur Folge haben, daß ein anderer Web-Browser, wie der Internet-Explorer von Microsoft, diese Seite in einem anderen Layout darstellt. Denn für die Darstellung von Struktur-Markups auf dem Bildschirm gibt es nur Empfehlungen. Ich möchte mir die Zeit nehmen, um diesen so wichtigen Unterschied zwischen Layout und Struktur näher zu erläutern. Die Erfahrung mit Textverarbeitungen führt nämlich zumeist zu der Vorstellung, daß Layout und Struktur gleichzusetzen seien und man aus Layout Struktur gewinnen und deshalb auf die Explikation der Struktur von Dokumenten verzichten könne. Doch diese Vorstellung leitet fehl. Nicht ohne Grund spricht man deshalb statt von Textverarbeitung eher von CADE - Computer Aided Document Engineering. An diesem Unterschied zwischen Struktur und Layout hänge ich anschließend meine soziologische Argumentation auf. 5 Daten, Struktur und FormatDie konzeptionell tragende Kernidee von SGML besteht in der Unterscheidung von Daten, Format und Struktur eines Dokuments. Ein papierenes Dokument kann Texte und Abbildungen, ein elektronisches Dokument darüberhinaus auch Audio- und Videodaten sowie Hyperlinks enthalten. Abb. 3: Daten - Struktur - Format Die Daten stellen die auf den Inhalt zielenden Mitteilungen dar. Unter Format ist all das zu verstehen, was mit der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinung des Dokuments zu tun hat; gewöhnlich bezeichnet man diesen ergonomischen Aspekt eines Dokument als Layout. Mit Struktur eines Dokuments ist die Beziehung der Elemente zueinander gemeint. Konkret gehören dazu etwa Überschiften, Gliederungen, Aufzählungen, Listen, Verweise, Fußnoten, Register... kurz: Alles was das Auffinden und Verarbeiten der im Dokument enthaltenen Mitteilungen betrifft. Bei Struktur unterscheidet man zudem eine lineare (hierarchische) und eine nicht-lineare (verweisende) Anordnung von Elementen (vgl. Rieger 1995: 11-38). Am Beispiel eines Geschäftsbriefes läßt sich die Struktur eines Dokuments gut zeigen (vgl. Abbildung 5). Abb. 4: Beispiel Geschäftsbrief, traditionelle Papierversion Eine Sekretärin weiß, wie solch ein Geschäftsbrief aufgebaut sein muß: Der Absender gehört in den Kopf des Briefes, ebenso das Logo. Die Anschrift folgt in der Mitte des oberen Drittels eines DIN-A4-Blattes, die Anrede fünf Zeilen tiefer, die Grußformel an den Schluß. Im Unterschied zu einem hierarchisch aufgebauten Geschäftsbrief weist ein Buchdokument üblicherweise darüberhinaus auch nicht-hierarchische Elemente auf. Man denke dabei an Fußnoten, Marginalien, Kopf- oder Fußzeilen, Literatureinträge, Register usw.. Diese nichtlinear angeordneten Bestandteile haben Verweischarakter. Sie setzen Bestandteile eines Dokuments explizit in eine nicht zwingend hierarchische Beziehung und können an beliebiger Stelle im Text auftreten. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für nicht-lineare Elemente sind die Hypertext-Links des World-Wide-Web. An diesem Geschäftsbrief läßt sich zeigen, daß durch die Anordnung der Bestandteile des Dokuments die Interpretation der Daten nahegelegt wird. Die Interpreation der Daten ergibt sich nicht einfach aus den Daten selbst. Das läßt sich am Beispiel des Unterschieds zwischen der Absender-Adresse und der Empfänger-Adresse deutlich zeigen, weil beide Adreßangaben semantisch und syntaktisch identisch sind und oftmals allein die Position auf dem Papier darüber entscheidet, welche Zeichen als Empfänger- und welche als Absender-Adresse zu interpretieren sind.Endnote 4 Abb. 5: Beispiel Geschäftsbrief, Papierversion, abweichende Struktur Welche maßgebliche Rolle die Struktur für die Interpretation der Daten spielt, zeigt sich beim Durcheinanderwirbeln der Bestandteile (vgl. die Abbildung 5.) Noch einmal abstrakt-verallgemeinert ausgedrückt: Es ist die Struktur der Bezugnahmen der einzelnen Teile zu einem Gesamtdokument, die die Interpretationsanweisungen enthält. Bei SGML wird die Definition einer solchen Dokument-Struktur, ich hatte dies bereits erwähnt, als eine Document-Type-Declaration (DTD) bezeichnet.Endnote 5 Strukturdefinition begegnen einem mittlerweile auch in modernen Textverarbeitungen und DTP-Programmen in Form der Format-Vorlagen. Zusammen mit den eingegegebenen Daten und dem Layout werden solche Format-Vorlagen in der Datei abgespeichert.Endnote 6 Diese Informationen über die Strukturdefinition in Form der Format-Vorlage gehen jedoch in vielen Fällen dann verloren, wenn die Daten elektronisch zur Weiterverarbeitung weitergegeben werden und der Empfänger einer solchen Datei nicht das exakt gleiche Textverarbeitungsprogramm benutzt. Und leider sind beispielsweise die weitverbreiteten WinWord-Dateien ja nicht einmal verläßlich zu sich selbst kompatibel. Wird ein Dokument bspw. im RTF-Format abgesichert, das bekanntermaßen speziell als universelles Austauschformat zwischen verschiedenen Textverarbeitungen geschaffen wurde, und per E-Mail jemandem zugeschickt, dann gehen diese so wichtigen Strukturdefinitionen in jedem Fall verloren und das einlesende Textverarbeitungsprogramm muß beim Versuch der Strukturgewinnung raten. Die Bereitwilligkeit, mit der auf den Erhalt von Strukturangaben verzichtet wird - sowohl auf Seiten der Hersteller als auch auf Seiten der Anwender von Textverarbeitungen - zeigt, wie sehr der Strukturaspekt verschriftlichter Kommunikationen unterschätzt wird. Dies ist aus meiner Sicht, hier greife ich in meiner Argumentation vor, ein Indikator für den noch immer geringen Technisierungsgrad bei der Herstellung von Texten, trotz der inzwischen fantastischen Rechenleistungen der PCs. Diese Leistung wird bislang jedoch primär dafür genutzt, die alten Papiertechniken auf dem PC zu simulieren. Textverarbeitungen sind deshalb die derzeit wirkungsvollsten Modernisierungsverhinderer - gerade weil sie in den Organisationen als moderne Technik bewertet werden, kaum daß man mit ihnen leidlich umzugehen weiß. Soziologisch betrachtet ist der geringe Technisierungsgrad der Kommunikation durch die Nutzung von Textverarbeitungen wiederum ein Indikator für die unterkomplexen Sozialverhältnisse, unter denen Autoren in den Organisationen arbeiten. Der Umgang mit einem Web-Browser und vor allem das Anfertigen von HTML-Seiten ist ein erster Schritt in den Einstieg der Maschinisierung der Textverarbeitung. Die Verwendung von XML (eXtensible Markup Lanuage) ist dann womöglich der entscheidende und evolutionär irreversible Schritt (vgl. Bager 1998, 308ff). Zurück zur hierarchischen Struktur eines Geschäftsbriefes. Wie sähe solch ein Geschäftsbrief aus, wenn man ihn nicht mit einer Textverarbeitung, sondern mit den Strukturierungsmitteln schriebe, die ein Dokumentationssystem auf Basis von SGML böte? Vermutlich sähe dieser ähnlich dem folgenden aus: Abb. 6: Beispiel Geschäftsbrief, SGML-Version<gbrief> <adresse>Kesselgesellschaft <angebot>20.09.1998 <bestelliste> <stueck>10<artikel>Kessel H-150, weiß </bestelliste> <ziel>31.10.1998 </gbrief> Die Definition der Struktur eines solchen Textes ist nicht mehr in der Anordnung der Bestandteile enthalten, sondern in der Document-Type-Declaration (DTD) festgelegt. In diesem Beispiel hieße die Datei mit der Document-Type-Declaration für Geschäftsbriefe gbrief.dtd, entsprechend dem Markup der ersten Zeile. Wenn nun noch automatisch die fehlenden Daten zur Anschrift der Kesselgesellschaft aus einer Datenbank ergänzt und gemäß der Strukturdefinition zusammengesetzt und layoutet würden - eine Prozedur, die Textverarbeitungen als Serienbrief-Option anbieten, kann der Brief ausgedruckt werden und abgeschickt werden. Doch stop! Warum einen solchen Brief drucken? Das Dokumentations-System unserer Beispiel-Firma sollte eigentlich anhand der betriebseigenen Adress-Datenbank in der Lage sein zu erkennen, ob die angeschriebene Firma per E-Mail zu erreichen ist oder nicht. Und wenn diese Firma per E-Mail zu erreichen ist, dann sollte diese Bestellungen auch per E-Mail verschickt werden, schließlich ist eine E-Mail nicht nur schneller, sondern ist auch wesentlich billiger als ein Brief zu verschicken.Endnote 7 Nun sei angenommen, daß auch die per E-Mail angeschriebene Firma, in unserem Beispiel also die "Kesselgesellschaft", gern eine derartig strukturierte Bestellung per E-Mail annimmt, weil diese Firma nämlich das gleiche SGML-Dokumentationssystem und die gleiche Document-Type-Declaration für Geschäftsbriefe benutzt. Damit wären in diesem Szenario die wesentlichen Bedingungen erfüllt, damit eine Bestellung vollautomatisch verarbeitet werden kann. Die E-Mail-Bearbeitungsmaschine der Kesselgesellschaft würde automatisch eine Empfangsbestätigung an den Besteller "Hans Dampf KG" zurückschicken und ihn eventuell darum bitten, einen Teil der Kessel nachliefern zu dürfen, weil es an Material fehle.... weshalb vollautomatisch eine E-Mail mit einer ebenfalls per gbrief.dtd strukturierten Bestellung wiederum an den Zulieferer der Kesselgesellschaft hergestellt und abgeschickt wird, der diese Bestellung per E-Mail wiederum automatisch annimmt und weiterverarbeitet. Usw. usw. Steht ein solcher Strukturstandard zur Abwicklung geschäftlicher Kommunikationen im Computernetz-Medium zur Verfügung, wird es kontrafunktional, Bestellungen von Hand aufzugeben oder anzunehmen.Endnote 8 Wie ein Werkzeugmacher, der ein Werkzeug nur noch während der Ausbildungszeit von Hand anfertigt und danach ausschließlich mit einer sehr viel präziser, schneller und günstiger produzierenden CNC-Maschine arbeitet, so beschreibt ein Kaufmann kein Papier mehr und nimmt auch nur noch selten eines entgegen. Stattdessen programmiert er ganz überwiegend seine Bestellmaschine. Zwischen dem Kaufmann und seine Bestellung schiebt sich eine Kommunikationsmaschine, mit ihrer ganz eigenen Funktionslogik. Diese Zunahme der Automatisierung im Bereich der Mitteilungsverarbeitungen, die ich hier schildere, ist keine neue Entwicklung mehr oder gar nur eine windige Prognose. Wir befinden uns inmitten dieser Entwicklung, der Umgang mit dem Web bereitet uns alle ganz nebenbei kognitiv massenhaft darauf vor. Apotheken oder Autowerkstätten bestellen seit Jahren schon bei ihren Großhändlern auf eine Weise, die dem obigen Beispiel nahekommt. In der Verwaltung werden zunehmend häufiger zwar nicht SGML-Standards, wohl aber Standards gemäß Electronic Data Interchange (EDI) eingesetzt. SGML wird von den Militärs in den USA verwandt, und mit der Verabschiedung als ISO-Norm 1986 auch z.B. von Boeing, VW sowie Herstellern großer Lexika. Und natürlich ist auch der elektronische Handel an den Börsen zu erwähnen. Inzwischen haben sich erste vielversprechende Standards herausgebildet, die das Bezahlen per Internet ermöglichen, ich denke hier an das SET-Protokoll, wodurch die Entwicklungen in den nächsten Jahren einen weiteren besonders nachdrücklichen Schub bekommen werden. Auch wurden Auswertungsprogramme entwickelt, um auf elektronischem Wege zu demokratisch orientieren Entscheidungsverfahren zu gelangen, die zwar meist im Hinblick auf die Selbstorganisation der öffentlich zugänglichen Computernetze entwickelt wurden (vgl. Donnerhacke 1996; Rost 1998e), die sich aber ohne weiteres auch auf andere soziale Bereiche übertragen ließen.Endnote 9 Es ist noch nicht lange her, daß sich das Fax im Geschäftsbereich durchsetzte, man verlangte bis dahin nach einem anständigen Stück Briefpapier. Und heutzutage wird vielfach die E-Mail auf dem Bildschirm als unsolide und zu wenig sinnfällig wahrgenommen. Stattdessen verlangt man vieler Orts noch immer nach einem anständigen Stück Faxpapier. Kurz nachdem sich mein Internet-Provider selbständig machte, mußte er für seine Großkunden als erstes Programmierprojekt ein E-Mail2Fax und ein Fax2E-Mail-Gateway realisieren, damit auch die Chefs E-Mailfähig wurden. Und ich beobachte heute eine Reihe von E-Mail-Benutzern, die ihre Mails nach wie vor klassisch begreifen müssen: Sie drucken ihre E-Mail aus. Und verleihen ihr erst dadurch eine angemessene Bedeutung. 6 Ein Beispiel: Diskurs-Markup-LanguageMit der Kommunikation über Computernetze kommt die Maschinisierung der Mitteilungsverarbeitung ingang. Was das heißen kann, läßt sich am Beispiel der dynamischen Seitenerstellung im World-Wide-Web zeigen. Professionelle Internet-Provider erstellen für ihre Kunden individuell auf diese Kunden zugeschnittene Seiten von dem Moment an, an dem der Kunde die WWW-Adresse eines solchen Providers in seinem Web-Browser angeklickt hat. Kurz nach dem Anklicken durch den Kunden liest das WWW-System das sogenannte Cookie des Kunden aus, das Informationen über den letzten Besuch des Kunden enthält. Das WWW-System baut aufgrund dieser Informationen dann die Seite blitzschnell aus einer Datenbank auf. Verläßt der Kunde das WWW-System, hat das System inzwischen den Aufruf von Seiten durch den Kunden ins Cookie gespeichert, um auf diese Weise beim nächsten Besuch des Kunden den Aufbau der Seiten durch ein noch genaueres Interessenprofil speziell zuschneiden zu können. So wird es ziemlich wahrscheinlich, daß jeder Kunde, der ein zweites Mal auf diesen WWW-Server zugreift, ein anderes Dokument angezeigt bekommt. Ein solches Verfahren hinterläßt datenschutzrechtlich beurteilt keinen guten Nachgeschmack. Zugleich liegt der Gedanke nahe, daß es sinnvoll sein könnte, wissenschaftliche Texte auf eine ähnliche Weise dynamisch aufzubereiten, um den ungeheueren Datenwust an Dokumenten individuell zugeschnitten lesen und dabei trotzdem abschätzen zu können, daß man dabei im Urteil des/der Autoren nichts Wesentliches unberücksichtigt ließ. Eine Voraussetzung für eine derart diskursergonomisch optimierte Aufbereitung wissenschaftlicher Publikationen wäre allerdings, daß die Dokumente strukturell ungleich besser aufbereitet vorlägen, als es derzeit der Fall ist. Ich habe deshalb vor einiger Zeit über eine Diskurs-Markup-Language (DML) nachgedacht (vgl. Rost 1996c). Mit ihrer Hilfe soll es möglich sein, die Struktur einer wissenschaftlichen Argumentation innerhalb eines Dokuments sowie die Struktur des wissenschaftlichen Diskurses insgesamt zu beschreiben. Zur Kennzeichnung der Struktur von Daten, die innerhalb wissenschaftlicher Diskurse typischerweise benutzt werden, bedarf es einer ganzen Reihe an Markups, etwa der folgenden Art: THESE, DEDUKTION, INDUKTION, ABDUKTION, ANMERKUNG, HINWEIS, ANEKDOTE, BEISPIEL, FRAGE, ANTWORT, ZUSAMMENFASSUNG, ZUSTIMMUNG, ABLEHNUNG, ZWEIFEL, BESTÄTIGUNG, PROGNOSE, BEOBACHTUNG. Solche Markups, die die Elemente einer Art Diskurs-Grammatik bezeichneten, ließen sich dann jeweils mit Attributen versehen, um zu differenzierteren Anschlüssen zu gelangen. ANMERKUNGEN etwa wären bspw. in historische, soziologische, logische, psychologische, etymologische, physikalische und dergleichen mehr zu unterteilen. Zusammengehalten wird dieses Set an Markups unter dem Aspekt, ob sie die Oszillation zwischen wahrer und falscher Argumentation gestatten. Es geht mir jetzt hier nicht darum, Einzelheiten einer solchen Diskurs-Markup-Language zu diskutieren - diese fielen um einiges komplizierter aus, als ich es hier anspreche - sondern ich möchte an diesem Beispiel wieder nur allein den Strukturaspekt von Kommunikationen vermitteln und dabei zeigen, wie sich die technische und die soziale Dimension ineinander verschränken. Zunächst ein Beispiel dafür, wie ein mit einer DML-strukturiertes Dokument aussehen könnte: <!DOCTYPE SOCIOLOGY-DML.DTD "-//W3C//DML 5.0//DE"> <DML-SOCIOLOGY> <GETLINK:SOCIOLOGY> <PUTLINK:SOCIOLOGY>Computernetze, industrielle Revolution</PUTLINK> <BODY> <THESE1> Mit der Nutzung der Computernetze vollendet sich das Projekt der Industrialisierung. </THESE1> <ANMERKUNG1:THESE1> Die gewagte Verwendung des Begriffs <M>Vollendung</M> bezieht sich auf die der Physik entlehnten Differenz von Energie und Information: Nachdem sich die mit Energieumwandlungen befaßten gesellschaftlichen Bereiche bereits seit dem 19. Jahrundert in einem Prozeß der Industrialisierung befinden, werden nun auch die gesellschaftlichen Bereiche der Informationsverarbeitung erfaßt. </ANMERKUNG> <THESE2> Eine <M>Industrialisierung</M> geht einher mit der Zunahme der <M>Demokratisierung</M>, <M>Kapitalisierung</M> und <M>Verwissenschaftlichung</M> einer <M>Gesellschaft</M> und bedeutet technisch eine maschinelle Herstellung von <M>Maschinen</M> durch Maschinen. <GETLINK:HISTORY,POLITOLOGY,ECONOMY,TECHNOLOGY> </THESE2> <DEDUKTION1:THESE1-THESE2><PUTLINK:SOCIOLOGY> Mit der Nutzung der Computernetze vollendet sich die Demokratisierung, Kapitalisierung und Verwissenschaftlichung einer Gesellschaft. </PUTLINK></DEDUKTION> </BODY> </DML-SOCIOLOGY>Abb. 7: Beispiel für ein Dokument, DML-strukturiert Ein elektronisches Dokument, das wie in diesem Beispiel durch Struktur-Markups aufbereitet vorliegt, kann dann wie eine Web-Page über das Computernetz in die elektronisch zugängliche Enzyklopädie sämtlicher wissenschaftlicher Dokumente eingehängt und angeschlossen werden. Ein solches Dokument nähme Bezug zu anderen Dokumenten - man könnte das Dokument insofern als Link-Nehmer (in der Abbildung 7 durch GETLINK gekennzeichnet) bezeichnen - und fungierte selbst wiederum als Link-Geber (PUTLINK) für andere Dokumente, die auf dieses Dokument Bezug nehmen.Endnote 10 Als Autor einen Text auf diese Weise strukturieren zu müssen, erscheint als Zumutung und wäre doch zugleich ein Indikator für die Modernität seiner Produktionsweise. Schließlich besteht kein prinzipieller Unterschied im Gebrauch von Struktur-Markups, wie sie eben am Beispiel der SGML-Struktur eines Geschäftsbriefes zu sehen waren. Und tatsächlich werden in der Industrie bereits Dokumente auf eine ähnliche Weise aufbereitet, sofern große Mengen an Dokumentationen bewältigt werden müssen und zwischen den Daten keine hinreichend trivialen Strukturen vorliegen, um sie zentral mit Datenbank-Programmen verwalten zu können. Die Modernisierung wissenschaftlicher Kommunikationen geschieht entlang der Herausbildung dieses technisch-operativ zugänglichen Strukturaspekts. Eine derart aufbereitete wissenschaftliche Enzyklopädie enthielte den aktuellen Stand des kommunizierten Wissens. Das bedeutete selbstverständlich aber nicht, daß sie dadurch als eine Verkündigungsmaschine fungierte. Sie steigerte vielmehr die Ambivalenz und Konflikthaftigkeit wissenschaftlicher Kommunikationen, allein durch die bloße Explikation der Diskursgrammatik. Und selbst eine Opposition, die eine solche Diskursgrammatik ablehnte, könnte diese Ablehnung nur dadurch in hochauflösender Form präsentieren, indem sie sich zu einem guten Teil darauf einließe. Die Vorteile einer DML lägen jedenfalls auf der Hand. Sie erlaubte zum Beispiel die automatische Untersuchung eines Dokumentkorpuses, um schon mit ganz bescheidenen, rein quantitativen Maßen gering entwickelte evolutionäre Seitenarme einer wissenschaftlichen Argumentation aufzuspüren. Möglich wäre auch die automatisierte Beobachtung, welche Thesen häufig aufgesucht und welche weniger häufig als Anschluß genutzt würden.Endnote 11 Dadurch entstünden Ansprüche an eine wissenschaftlich gehaltvolle, logisch konsistente, ökonomisch günstigte, technisch effiziente und verwaltungstechnisch optimale Bearbeitung wissenschaftlicher Dokumente. Diese Ansprüche gingen einher mit einer drastischen Veränderung der Organisationsformen wissenschaftlicher Institutionen. WissenschaftlerInnen könnten nicht wie bisher in Handwerkermanier ihre Werkzeuge mit den Werkzeugen der Großmeister schnitzen, sondern sie müssen sich tatsächlich an die Maschinisierung der wissenschaftlichen Kommunikation, d.h. an die Vorverarbeitung von Mitteilungen durch Maschinen, sowie an eine funktional-differenzierte, arbeitsteilig organisierte und Ergebnis-orientierte Kooperation in Teams gewöhnen. Mit diesem Beispiel der Veränderung der Wissenschaftsorganisationen habe ich meinen letzten Punkt zu fassen. Ich möchte nachfolgend auf die gesellschaftlichen Auswirkungen der Technisierung der Kommunikation durch Stärkung des Strukturaspekts maschinell-verschriftlichter Dokumente zu sprechen kommen. 7 Gesellschaftliche Auswirkungen der Technisierung von KommunikationEine Markup-Language läßt sich technisch ausweisen als ein anwendungsspezifiziertes Protokoll (vgl. Rost 1997). Unter einem Protokoll versteht man, allgemein ausgedrückt, ein Set an Operationen, mit denen Daten - damit sind soziologisch gewendet "verschriftlichte Sinneinheiten" gemeint - an Adressen angedockt und dann systemspezifisch prozessiert werden. Adressen funktionieren als Markierungen für Kontaktpunkte verschiedener Systeme (vgl. Fuchs 1997).Endnote 12 Konkreter gewendet: Jedes Markup in einem Dokument sind Adressen, an denen kontrollierte Operationen mit Daten durchgeführt werden. Adreßierbarkeit kann man sich anhand der Strukur eines Buches klarmachen: Eine Überschrift, ein Inhaltsverzeichnis, ein alphabetisch sortiertes Register, ein Verweis in einer Fußnote, der Titel eines Buches und der Autorname sind jeweils Beispiele für Adressen, die bestimmte Verfahrensweisen der solcher Art bezeichneten Daten nahelegen. Das spezifisch-besondere eines großtechnischen Systems wie dem Internet liegt darin, daß solche Adressen technisch eigendynamisch gesetzt, verwaltet und auch gelöscht werden in einem sehr viel größeren Ausmaß, als dies bislang auf Papier möglich war. Es gilt deshalb, neue Entwicklung im Bereich der Adressen und Protokolle in Bezug zu den großen Sozialsystemen Ökonomie, Politik/ Recht und Wissenschaft zu setzen.Endnote 13 Im vorliegenden Fall der Markup-Languages entsprechen die Markups den Adressen, die als Kontaktpunkte für Links im weitesten Sinne fungieren. Diese Kontaktpunkte bestehen zwischen den Autoren, die solche Dokumente erstellen und verarbeiten, den sozialen Systemen, die solche Dokumente als bestimmte Kommunikationen prozessual nicht-beliebig, sondern über bestimmte Regeln konditioniert aneinanderschließen, und der Kommunikationstechnik, die solche Dokumente medial-technisch zugänglich macht und aneinanderschließt sowie maschinell verarbeitet.Endnote 14 Abb. 8: Die Adresse als Kontaktpunkt Ich möchte das Hauptaugenmerk von den Markup-Languages etwas wegführen und zu den Netz-Protokollen hinlenken, weil die Markup-Languages, die ich der Anschaulichkeit halber bislang so betont habe, eine Untermenge von Protokollen bilden. Denn mir liegt daran, noch allgemeiner als bislang formulieren zu können: Die Technisierung der Kommunikation geschieht über die Herausbildung von Protokollen, die spezifische Adressen und Operationen für Sozialsysteme anbieten (Rost 1997). Will man verstehen, worin genau das Spezifikum einer Informationsgesellschaft besteht, dann gilt insbesondere die Entwicklung von Netz-Protokollen zu beobachten (vgl. Jaeger 1996).Endnote 15 Auf die Möglichkeiten eines Wissenschaftsprotokolls in Form einer Diskures-Markup-Language bin ich bereits eingegangen. Das ökonomische System, auf das ich nun knapp zu sprechen kommen möchte, orientiert sich exklusiv strukturell an Zahlungen und Nichtzahlungen. Die Reproduktion von Zahlungen ist konditioniert über Preise (vgl. Luhmann 1983; Luhmann 1988). Der ökomonische Imperativ besteht somit darin, alles in der Welt mit Preisen zu belegen. Die Versicherungsmathematiker entwickeln ein besonderes Geschick darin, das "eigentlich" nicht Bewertbare, bspw. die Beine genialer argentinischer Fußballspieler oder Kunstwerke - über den Umweg, was es wohl kostete, wenn es diese Beine oder Kunstwerke abhanden kämen - eben doch zu bewerten. Eine in diesem Sinne ökonomisch relevante Störung, die von Computernetzen ausgeht, läßt sich am Beispiel der Micropayments zeigen (vgl. IBM 1997; Nielsen 1998) erläutern. Technisch handelt es sich mit dem Micropayment um ein Protokoll ("MPTP"), das es gestattet, Berechnungseinheiten automatisch auszutauschen (vgl. Hallam-Baker 1995). Ökonomisch werden diese Berechungseinheiten als Zahlungseinheiten angeschlossen und verbucht, die, und das ist das besondere, um mehrere 10er-Potenzen kleiner sein können als die jeweils kleinste Zahlungsform einer Währung. Die kleinste Micropayment-Einheit kann eine Größe eines 1/10 000-Cents annehmen.Endnote 16 Technisch handelt es sich um kleine Datenpakete, die erzeugt werden, die aneinanderschließen und beim Empfänger ausgewertet werden. Auf diese Weise ist jede Aktion im Netz zugleich eine automatisiert-technische und eine ökonomische Aktion.Endnote 17 Der Käufer einer Mitteilung - konkret kann man sich darunter jemanden vorstellen, der sich eine WWW-Page ansieht - bezahlt den Hauch eines Pfennigs. Der Verkäufer einer solchen Mitteilung kann dadurch, wenn diese Mitteilung massenhaft abgerufen wird, zu einer durchaus relevanten Einnahme gelangen. Micropayments sind so gesehen der Einstieg in eine hochauflösende, womöglich vollständige Durchökonomisierung der gesellschaftlichen Informationsverarbeitung. Jede technische Aktionseinheit ist zugleich eine ökonomische Aktionseinheit. Jedes Wort kostet, weil irgendwo dafür ein kleines bischen Strom fließen mußte und darüber eine Rechnung ausgestellt wird. Eine solche Ökonomisierung jeglicher technisch vermittelter Kommunikationen (insofern: Aufmerksamkeits-Ökonomie (vgl. Rötzer 1998)) wäre eine Strategie zur Regulierung des Information-Overload. Als ein anderes Beispiel in diesem Sinne ließe sich an elektronische Briefmarken denken, wonach ein E-Mail-Absender Briefmarken von dem Empfänger kaufen muß, bevor er diesem eine Mail zuschickt (wohlgemerkt: das Bezahlen und Zuschicken der Briefmarke geschieht dabei automatisch). Nur wenn der Absender seine E-Mail mit einer korrekt frankierten Briefmarke versieht, läßt der Briefmarkenfilter des E-Mailprogramms die Mail an den Empfänger durch. Zum Schluß möchte ich abrundend zwei Aspekte der Technisierung der Kommunikation im Bereich Recht und Politik herausheben. Soziologisch formuliert operiert das Rechtssystem exklusiv gemäß der Unterscheidung von Recht und Nicht-Recht. Die Reproduktion des Rechtssystems und die Kontaktstelle zu anderen Systemen geschieht anhand von Gesetzen (vgl. Luhmann 1993). Politik operiert entlang der Differenz von Überlegene/ Unterlegene, die in der repräsentationistischen Demokratie als Regierung und Opposition auftreten. Der Außenkontakt von Politik besteht in politischer Programmatik, die Kommunikationen instruiert, die zu kollektiv bindenden Entscheidungen führen (vgl. Luhmann 1997). Politische Macht äußert sich in Bezug zur modernen Kommunikationstechnik im Zugriff auf Kommunikationen. Konkret gewendet: Ein politisch/rechtlich zu formender Konflikt entsteht von dem Moment an, an dem die netztechnisch vermittelten Kommunikationen automatisch verschlüsselt erfolgen. Verschlüsselte Kommunikation hat zur Folge, daß weder die staatlichen Institutionen Zugriffe auf die Kommunikationen der Bürger noch die Betriebe Zugriffe auf die Kommunikationen der Mitarbeiter haben. Die dadurch entstehenden Konflikte werden bereits seit wenigen Jahren bearbeitet, bei der die bislang fehlenden Sanktionsmöglichkeiten allerdings überkompensiert werden, indem moralische Aufladungen in Bezug zu Kinderpornografie offenbar dazu verführen, Bürgerrechte aus dem Blick zu verlieren.Endnote 18 Viele Betriebe, die an das Internet angeschlossen sind, verbieten ihren Mitarbeitern das Verschlüsseln von E-Mails, schließlich könnten darin Firmengeheimnisse preisgegeben werden. Rein technisch gesehen ist die Automatisierung der Verschlüsselung kein Problem. Während die Inhalte von Briefen und Faxen recht leicht von Dritten unberechtigt beobachtet werden können, ist dies bei stark-verschlüsselten E-Mails dagegen fast gar nicht möglich, sofern Sender und Empfänger aufmerksam genug sind.Endnote 19 So wie im Zuge der Micropayments mit einer Durchökonomisierung zu rechnen ist, steht also auch die Durchrechtlichung technisierter Kommunikationen an. Man muß als Netzanwender - insbesondere als professioneller Nutzer, dessen Mitteilungen gut strukturiert sind - jederzeit und unbeobachtbar damit rechnen, daß die Mitteilungen automatisiert überwacht werden.Endnote 20 Solche Techniken funktionieren aber nur dann, wenn keine starke Verschlüsselung zugelassen ist. Starke Verschlüsselung, bei der die Verschlüsselungs- und Entschlüsselungshoheit exklusiv direkt beim Bürger liegt.Endnote 21 ließe sich staatlicherseits dadurch verhindern, indem ein Sicherheitsprotokoll etabliert wird, das den staatlichen Institutionen exklusiv die Entschlüsselung erlaubte. Derzeit wird diskutiert, daß eine Verschlüsselungshoheit nur dann beim Bürger bleiben dürfe, wenn der Bürger dem Staat bzw. dem Betrieb einen Nachschlüssel aushändigte - damit diese zumindest bei Bedarf die verschlüsselten Kommunikationen lesen können (Stichwort: key escrow). Es ist also in den nächsten Jahren damit zu rechnen, daß jedes Datenpäckchen automatisch zumindest daraufhin untersucht wird, ob es stark verschlüsselt vorliegt oder nicht. Politisch ist mit einem weiteren Anwachsen einer Debatte um direktdemokratische Verfahren zu rechnen. Anfang der 70er Jahre entstand im Zuge der Nutzung des TED eine Diskussion darüber, wie sich Technik und Bürgerbeteiligung näher zusammenbringen ließen. Schon damals war von einer Computer-Demokratie die Rede (vgl. Westermayer 1998). In Anbetracht der elektronischen Wahlmaschinen, die bei den jüngst entschiedenen Präsidentschaftswahlen in Brasilien eingesetzt wurden (Oktober 1998), liegt der Gedanke nahe, nach Verfahren zu suchen, die eine Stimmabgabe auch vom heimischen PC aus über das Internet zumindest auf Antrag ermöglichen. Dann wiederum liegt es nahe, nicht nur alle vier Jahre über die Zusammensetzung von Parlamenten zu entscheiden, sondern direkt in Debatten einzugreifen und an Entscheidungen teilzuhaben. Politik selbst veränderte sich.Endnote 22 Denkbar wären in einer solchen Situation dann - dies kann jetzt selbstverständlich nur eine reine Spekulation sein, die ich mir aber trotzdem nicht verkneifen möchte - daß zwei politische Kammern entstünden: Eine, in der unter direkter Bürgerbeteiligung verhandelt wird und Entscheidungen tatsächlich per Maus-Klick zustandekommen. Und eine zweite Kammer nach bekannt-repräsentationistischem Muster, in der die Vertreter der Organisationen und Verbände offensiv ihre Lobbyarbeit verrichteten. 8 Schlußbemerkungen und FazitDie Modernisierung einer Gesellschaft korreliert mit dem Wirkungsgrad ihrer Informationsverarbeitung. Gleiches gilt für Organisationen. Ein besserer Wirkungsgrad der Kommunikationen kann sich erst dann einstellen, wenn die hohen Investitionen in die Technisierung der Kommunikationen auf die Stärkung des Strukturaspekts zielen. Der Anschluß von PCs an Computernetze und die Ausstattung mit der selben Textverarbeitungs- und Netz-Software führt nicht zwangsläufig zur Modernisierung firmeninterner Kommunikationsabläufe, auch wenn alle Mitarbeiter anständig geschult sind und mit der Technik umzugehen wissen, was selten genug der Fall ist. Erst durch die Herausbildung des Strukturaspekts verschriftlichter Kommunikationen kommt es zu einem funktional besseren Abgleich zwischen der kommunikativen und der technischen Infrastruktur von Organisationen. Computer und Internet sind nicht länger Spezialmaschinen der Bürotechnik, sondern sie bilden ineinander verschränkt das Universalmedium gesellschaftlicher Kommunikation aus. Dieses Universalmedium fügt zum einen die konventionellen Kommunikationskanäle - wie Printmedien, Telefon, Radio, Fernsehen - zusammen.Endnote 23 Zum anderen führt die Verstärkung des Strukturaspekts auf gesellschaftlicher Ebene zur stärkeren Inklusion der Sozialsysteme: Jede technisierte Kommunikation referenziert zugleich immer auch auf ökonomische, rechtliche, wissenschaftliche und sogar politische Kommunikationen. Die derzeitige Lage ist brisant, ich empfinde sie als Ruhe vor dem Sturm: Das Management von Betrieben und Instituten hat inzwischen durchgängig EDV und vielfach Internet eingeführt, die Mitarbeiter wissen zunehmend besser, die Technik anzuwenden. Damit einher geht vielfach die Ansicht, daß die Anforderungen an moderne Kommunikationsinfrastruktur langsam erfüllt seien und wieder Ruhe einkehren könne. Schließlich surfe man ja nun ebenfalls durch das Web und kann sich als abgeklärt präsentieren, indem man den Schund im Netz anprangert.Endnote 24 Es wird vielfach Entwarnung signalisiert. Faktisch jedoch sind die Minen zur Modernisierung der Organisationen und der Gesellschaft durch Technisierung der Kommunikationen gerade erst ausgelegt. Die protokolltechnische Maschinisierung der Kommunikationen greift um sich, und zwar rasch und eigensinnig, hinter dem Rücken der Akteure. 9 EndnotenEndnote 1 - Das erinnert natürlich an die Funktion des Tagebuches für die Entstehung des Selbstverständnisses als Bürger (vgl. Weber 1976). - zurück - Endnote 2 - Techniksoziologisch gründlich verstanden, ist die technische Reproduktion selbst als eine spezifisch soziale Form aufzufassen. - zurück - Endnote 3 - Der hermeneutische Zirkel ist doppelt-paradox verfaßt, wenn man das Problem des Verstehens nach Sender- und Empfängerseite unterscheidet, um diese zu beobachten. Die klassische Paradoxie-Entfaltung lautet ja bekanntlich: Der Empfänger muß eigentlich immer schon verstanden haben, um den Sender verstehen zu können. Weil der Empfänger jedoch immer schon versteht, versteht er den Sender nicht. Wüßte aus der Sicht des Beobachters der Empfänger, daß er den Sender nicht versteht, hätte er schon viel verstanden. Nichtverstehen, das von sich weiß, hat aus dieser Sicht eine besondere Funktion: Es kann einen Verständnisaufschub bewirken, etwa indem es eine bislang unbezweifelte Abhängigkeit logischer Art unterbricht. (Auch eine Moral, die Konsens immer schon unterstellt, um umstandslos auf das Bewerten durchzugreifen, wie dies in Interaktionen häufig der Fall ist, gerät mit dem verständigen Nichtverstehen in Gefahr.) Verständiges Nichtverstehen räumt im Unterschied zum Verstehen sowohl dem Sender als auch dem Empfänger eine weitere Chance ein, damit die Simulation eines gemeinsam geleisteten qualitativen Sprungs zur Meisterung des hermeneutischen Zirkels als gelungen bewertet wird. So gesehen ist das Nichtverstehen eine Voraussetzung für das Verstehen und es gilt, sich auf das Nichtverstehen zu verstehen. - zurück - Endnote 4 - Im vorliegenden Beispiel ließe sich über die Position hinaus auch die Anrede "An die..." zur Identifikation der nachfolgenden Zeilen als Empfangsadresse heranziehen. - zurück - Endnote 5 - Die gleiche Funktion erfüllen die Style-Files für das Satzprogramm LaTeX oder die Cascade-Style-Sheets für HTML. - zurück - Endnote 6 - Dies ist der Grund dafür, weshalb auch vergleichsweise kurze Dokumente, etwa als .doc abgespeichert, eine Menge Plattenplatz beanspruchen können. - zurück - Endnote 7 - Von den spezifischen Problemen des Verschlüsselns und Signierens beim Abwickeln elektronischer Geschäftskommunikationen sehe ich an dieser Stelle ab. - zurück - Endnote 8 - Der technische Transport von formiert-strukturierten Daten, ob per E-Mail wie in unserem Beispiel oder per http-Zugriff oder mit einem erst noch zu entwickelden Verfahren, ist dabei von nachrangiger Bedeutung. Eine Bestellung wie in diesem Beispiel setzte erst oberhalb der Anwendungsschicht auf (vgl. Tanenbaum 1990). - zurück - Endnote 9 - Am Beispiel der Robots und Personal Agents, die in Form quasi-autonomer Programme im Internet als Stellvertreter für ihre Programmierer fungieren, werden bspw. die Konsequenzen dieser Technisierung von Kommunikationen bereits vorwegnehmend erörtert, etwa ob den quasi-autonom agierenden Personal-Agents eine Stimme bei Wahlen eingeräumt werden sollte (vgl. Helmers/ Hoffmann 1996). - zurück - Endnote 10 - Entlang solcher Links können dann Steuernachrichten an die Texte geschickt werden, um automatisiert Veränderungen an diesen vorzunehmen. Ein solches Vorgehen zöge eine Taktung des Wissenschaftssystems nach sich, um definierte Zustände anzubieten. - zurück - Endnote 11 - Dadurch wäre der Stand der Wissenschaft ("aktueller Stand der Normalwissenschaft" gegenüber dem "neuesten, noch nicht stabilisierten aber verheißungsvollen Forschungsstand") operationalisiert. - zurück - Endnote 12 - Nach Fuchs markieren Adressen die Re-Entrys kognitiver Systeme. Damit fungiert eine Adresse gerade auch als ein Kontaktpunkt eines Systems zu sich selbst. - zurück - Endnote 13 - Vermittler operieren dabei als Adreßkonzentratoren oder besser Adreßattraktoren. Als Beispiel sei auf http://www.onlineoriginals.com hingewiesen, einem englischen Verlag, der bislang 40 belletristische, dramatische und nicht Originaltitel per E-Mail ausliefert, zu 7 Dollar die Publikation. Die Autoren erhalten eine 50prozentige Umsatzbeteiligung. - zurück - Endnote 14 - Diese Differenz, nämlich zugleich als Medium und Maschine zu operieren, kennzeichnet den Computer gegenüber den anderen Verbreitungsmedien (vgl. Esposito 1993). Halfmann universalisiert diese Unterscheidung in Medium und Installation (vgl. Halfmann 1996). - zurück - Endnote 15 - In meinem Verständnis ist eine Informationsgesellschaft bislang noch immer nur als Untermenge von Industriegesellschaft zu begreifen. Und Industriegesellschaft wiederum ist verstehbar als eine Spezifikation funktional-differenzierter Sozialsysteme unter dem nur methodisch orientierten Einblenden der besonderen Rolle von Technik für die gesellschaftliche Kommunikation. - zurück - Endnote 16 - Die Auflösung eines Micropayments ist ökonomisch beschränkt durch die Kosten, die entstehen, um eine solch kleine Einheit zu erzeugen und zu transferieren. Man kennt diesen Effekt bspw. beim Pfennig, dessen Herstellung teurer als ein Pfennig ist oder bei Bußgeldbescheiden, deren Höhe die Kosten für den Verwaltungsaufwand nicht erreichen. - zurück - Endnote 17 - Die Aufmerksamkeit des Käufers wird allenfalls dann beansprucht, sobald eine bestimmte Preisgrenze oder ein Budget überschritten wird. - zurück - Endnote 18 - Interesant ist dann zu sehen, daß nationalstaatliche Regelungsversuche mit dem Ziel, diese Rechte einzuschränken, umstandslos und weltweit Debatten auslösen. - zurück - Endnote 19 - Zu einer starken Verschlüsselung zählt nicht allein die Schwierigkeit der Dekodierung eines Dokuments, sondern darüberhinaus auch die Unzurechenbarkeit der Verkehrsdaten. Verkehrsdaten fallen immer dann an, wenn ein Beobachter registrieren kann, wer mit wem, wann und in welchem Ausmaß korrespondierte (vgl. Gisor 1996). - zurück - Endnote 20 - Wie ungestört und munter Geheimdienste offenbar zumindest den internationalen Mailverkehr mitlesen, zeigt sich bei Echolon (vgl. Ruhmann/ Schulzki-Haddouti 1998). - zurück - Endnote 21 - Zum Beispiel mit Hilfe des inzwischen weit verbreiteten PGP-Programms. - zurück - Endnote 22 - "In der Agenda der neuen, offiziellen Netzpolitik verwandelt der Cyberspace alles - nur nicht die Politik. In der Utopie der neuen Informationsgesellschaft, von der uns die Politik in Gestalt der Regierung erzählt, ist der Politik die Rolle des Paria zugedacht." (Rilling 1996) - zurück - Endnote 23 - Der Unterschied der Kommunikationskanäle bemißt sich dann nicht länger an der physikalischen Trennung dieser Kanäle, sondern an den spezifischen Netz-Protokollen. Durch diese Konvergenz der Medien wird die informatorische Versorgung per Netz gleichrangig wichtig zur Wasser- und Energieversorgung der Haushalte. - zurück - Endnote 24 - Solche Statements überzeugen nur diejenigen, die ihre passiv-konsumtive Haltung gegenüber den klassischen Verbreitungsmedien auf Computernetze übertragen und nicht erwägen, aktiv zu werden und bspw. Mailinglists zu gründen, um gehaltvolle Diskurse zu erzeugen. - zurück - 10 Literatur
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