Die Nutzung einer Mailinglist als wissenschaftliches Diskursforum weist, im Vergleich zu den traditionellen Verbreitungsmedien, für wissenschaftliche Kommunikation eine ganze Reihe an Vorteilen auf.(Endnote 1) Neben den demokratietheoretisch guten Bedingungen für eine faire Teilhabe aller Mitglieder - schließlich ist die Trennung in Autoren und Leser in Mailinglists nicht durch die Verfügungsgewalt über teure Produktionstechniken und Distributionskanäle wie bei Zeitschriften und Büchern erzwungen, sondern das Ergebnis einzig des kommunikativen Verlaufs bzw. der Selbstorganisation des Forums - diffundieren Mailinglist-Beiträge, im Vergleich zu Symposienreferaten oder Fachzeitschriftsartikel, zu geringen Einrichtungs-, Verwaltungs-, Bewerbungs- und Nutzungskosten, weltweit mit einer unüberbietbar hohen Geschwindigkeit. Diskussionsteilnehmer ist es zudem möglich, nicht simultan zu einem bestimmten Zeitpunkt der Diskussion gemeinsam anwesend sein zu müssen oder in eins zu fallen mit derjenigen Person, für deren positionelle Inszenierung sie sich entscheiden (Stichwort: Identitätsmanagement) (vgl. Köhntopp 2000). Beiträge asynchroner Foren bilden eine Zwischenform zwischen verschriftlichten Beiträgen, die weitgehend selbsttätig von einem Autoren ausgearbeitet wurden, und dialogischen Beiträgen, mit denen unmittelbar auf den Beitrag des Vorredners geantwortet wird. Ungeübte Teilnehmer haben anfangs oft Schwierigkeiten damit, diese Zwischenform zu treffen und tendieren zunächst zu einer der beiden, ihnen bekannten Formen. Ein Autor eines Mailinglistbeitrags hat mehr Zeit zur Formulierung als ein sich spontan entschieden habender Redner, weshalb das Reflexions- und Argumentationsniveau höher ist und mehr als nur kurze Einwürfe, Argumentationsbruchstücke oder gut abgehangene, weil alte Reflexionen geliefert werden können. Im Vergleich zu einem Aufsatz wiederum kann sich der Mailinglistteilnehmer nicht viel Zeit dafür nehmen, den eigenen Beitrag durch eine ausladende, traditionell erörternde Diskurssimulation zu immunisieren. Er benähme sich dadurch des einzigen Lohns, den eine Mailinglist zu bieten hat, nämlich dass sein Beitrag in einem weiteren Beitrag aufgegriffen und kommentiert wird. Die traditionelle Form des Aufsatzes ist, trotz aller gegenteiligen wissenschaftstheoretischen Programmatik, darauf angelegt, einen Diskurs, der andere als positive Bezugnahmen ermöglichte, eher zu verhindern anstatt, wie es wissenschaftstheoretisch gefordert ist, zu befördern. Dem empirischen Teil dieser Studie ist zu entnehmen, dass eine vollentwickelte Mailinglist-Diskussion im Durchschnitt sechs Tage nach dem ersten Initiativbeitrag beendet ist. Diese oft genannten Vorteile von Mailinglists liegen auf der Hand. Inzwischen stellen sich einige Autoren im Hinblick auf die soziale Organisation elektronischer Verbreitungsmedien genauer nachhakend die Frage, wie demokratisch verfaßt es tatsächlich zugehen kann, wenn etwa die Teilhabe an elektronischen Diskussionsforen, im Hinblick auf die technische Infrastruktur als teuer, die Authentizität der Teilnehmer als unsicher und allein das Wissen um die angemessene Nutzung als doch zu voraussetzungsvoll beurteilt wird (vgl. Buchstein 1996; Hagen 1997; Leggewie/ Maar 1998; Rilling 1996; Roesler 1997; Stegbauer/ Rausch 1999; Westermayer 1998). Auch auf der inhaltlichen Ebene wird speziell mailinglistgestützte Wissenschaftskommunikation vielfach skeptisch beurteilt. Ich möchte als Beispiel einige Äußerungen von Miller-Kipp/ Neuenhausen aufgreifen, weil diese meiner Ansicht nach auf eine typische Weise die ungebrochen traditionelle Sicht auf die Nutzung von Mailinglists zeigen (Miller-Kipp/ Neuenhausen 1999), die sich in ähnlicher Form zu einem Teil auch bei den zuvor genannten Autoren feststellen läßt. Die Autorinnen ziehen in ihrer Untersuchung über den pädagogischen Diskurs im Internet, in der sie eine ganze Reihe an englischsprachigen, auf Pädagogik Bezug nehmende Mailinglists untersuchten, das folgende Fazit:
An diesem Beispiel möchte ich drei Aspekte herausgreifen und kommentieren.
Risiken und Konflikte im Umgang mit elektronischen Kommunikationsforen sind weder psychologisierend den Anwendern noch magisierend der Technik anzulasten, sondern der selten als Problem angeführten, überwiegend zunftartigen Form der Wissenschaftsorganisationen, in die elektronische Foren sich nicht umstandslos einpassen. In elektronischen Diskursforen läßt sich technisch die Möglichkeit zur formal fairen Teilnahme aller Mitglieder erfüllen - mehr nicht, aber auch nicht weniger. Damit ist die maßgebliche Bedingung für die funktional eigensinnige Konditionierung wissenschaftlicher Kommunikation gegeben - und zwar gleichgültig, ob man die Formulierung dieser Bedingungen der Konsens-Theorie des kommunikativen Handelns (vgl. Habermas 1985) oder der Dissens-Theorie funktionaler Differenzierung (vgl. Luhmann 1997) entnimmt. Die unterkomplex-vormodernen Sozialverhältnisse der Wissenschaftsorganisationen legen gegenwärtig nur die Einnahme eines unverbindlich-spielerischen Modus der Teilnahme an Mailinglists nahe. Bevor auf Aspekte der gegenwärtigen Wissenschaftsöffentlichkeit eingegangen wird, soll kurz die von mir seit längerem vertretene These von der bislang noch ausstehenden Industrialisierung der mit Mitteilungsverarbeitung als Produkt befaßten Organisationen, zu denen insbesondere die mit Wissenschaft befaßten zählen, eingeschoben werden. 3.1 Die Fortsetzung des Projekts der IndustrialisierungDas Internet erzeugt einen Entwicklungsdruck, unter den derzeit sämtliche Organisationen dieser Welt geraten sind, weil sie in einen Wettlauf um eine möglichst intelligente Informationsverarbeitung gezwungen werden. Organisationen müssen das Call-Center-Problem lösen, wie mit den Faxen, Briefen, Telefonaten und E-Mails möglichst standardisiert (Stichwort "Unified Messaging") umzugehen ist. Hierbei gilt, die Mitteilungen von Partnern, Kunden und gefährlichen Konkurrenten mit hoher Trennschärfe von den uninteressanten Störungen zu unterscheiden und selbst Mitteilungen zu erzeugen, die andere nicht ignorieren sollen. Die Funktion von Call-Centern besteht insofern darin, den externen Signal-Rauschabstand von Organisationen zu trimmen, indem sie als Synchron-Asynchronumsetzer operieren: Ein guter Signal-Rauschabstand bedeutet, dass Anfragen von außen möglichst sofort wiederum nach Draussen als "akzeptiert/ nicht-akzeptiert" signalisiert und in die interne Kommunikation als "auf eine bestimmte Weise zu bearbeiten" eingepasst werden. Eine Organisation muss hier Formen finden, wie sie das Wissen ihres personalen Inventars optimal mehrt, adressierbar macht und abzapft.(Endnote 3) Diese externen und internen Anforderungen verändern die Formen der internen Kommunikationen der Organisationen wie auch die Formen der Arbeitsteilung unter den Mitgliedern der Organisation, die Formen der neu zu bändigenden Konflikte und die Formen des Selbstverständnisses des personalen Inventars der Organisationen. Sobald beispielsweise den Mitgliedern einer Organisation E-Mail zur Verfügung steht, lassen sich unterschiedliche Grade des Informierens bzw. Informiertwerdens nicht, wie bisher fadenscheinig aber konfliktlösend, beispielsweise mit einem unzulänglichen Umlaufmappenverfahren über eine Registratur begründen, sondern nur mit den unterschiedlichen Positionen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Außerdem führt die elektronisch gestützte Zusammenarbeit zwischen Abteilungen oftmals dazu, abteilungs- oder organisationsübergreifende Projektgruppen zu bilden, die sich im alten Organisationsgefüge formal nur schwach absichern lassen, ihrerseits aber trotzdem, um der gesteigerten Produktivität willen, zuverlässig adressabel sein müssen. Die breite Verwendung von E-Mail reaktiviert zunächst einmal das durch Routinen stillgelegte Konfliktpotential von Organisationen und schafft neue (frühzeitig beobachtet und beschrieben z.B. bei Zuboff 1988). Es ist daran zu erinnern, dass Organisationen insbesondere zu Beginn der Industrialisierung in sehr kurzer Zeit, gründlich und von selbstaufklärenden Versuchen begleitet, durch den Einsatz von Technik strukturell durchgeschüttelt wurden. Karl Marx analysierte im 13. Kapitel des 1867 das erste Mal publizierten 1. Band des Kapitals die gesellschaftlichen Auswirkungen von Dampfmaschine und Werkzeugmaschine, die ihrerseits als Folgen und Auswirkungen gesellschaftlicher Entwicklungen ausgewiesen wurden (vgl. Marx 1976). Marx zeigte darin, wie der Einsatz moderner Maschinen die Zünfte und Manufakturen veränderte, dadurch dass riesige Fabrikareale entstanden, in denen große Mengen an Menschen arbeitsteilig und zum großen Teil maschinenvermittelt stetig zusammenarbeiteten. Diese Umgebungen wirkten wiederum auf die allgemein anzutreffenden Organisationsformen und die gesellschaftlichen Formationen weltweit als auch auf die Psychen der Menschen zurück. Speziell in seinen soziotechnischen Analysen befand Marx sich damit auf der Höhe seiner Zeit, zumal er die bis heute noch namhaften Technologen Babbage und Ure als Gewährsmänner herangezogen hatte (vgl. Müller 1981). Allerdings verfügte Marx über keine, seinem sonstigen Niveau angemessene, theoretische Positionierung des Transmissionsriemens, wie es damals hieß. Man konnte zu seiner Zeit im Transmissionsriemen und den dazugehörigen Umlenkvorrichtungen wenig mehr als eine Verlängerung der Dampfmaschine, deren Kraft mittels Riemen und Umlenkrollen weitergeleitet wurde, sehen. Aus der heutigen, kybernetisch instruierten Sicht ist am Transmissionsriemen nicht so sehr die Eigenschaft der effizienten Energieübertragung relevant, sondern mehr noch die Möglichkeit des kontrollierten Koppelns von Einzelmaschinen zu einer Gesamtmaschinerie. Statt der Übertragung von Energie, die den Transmissionsriemen analytisch tatsächlich nur zu einem trivialen Anhängsel der Energiemaschine werden liesse, ist die maschinelle Kontrolle bzw. Steuerung der Energiezufuhr das zentrale Funktionselement. Der Transmissionsriemen funktioniert jedoch dann von der Energiemaschine funktional gelöst, wenn der Riemen über automatisierte Sensorik- und Steuerungsleistungen verfügt. Meine basale Annahme lautet nun, dass Computernetze wie das Internet die Funktion eines weltumspannenden generalisierten Transmissionsriemens erfüllen. Computernetze lassen sich damit umstandslos in die Tradition des Industrialisierungsprojekts stellen: Sie katalysieren Veränderungen in Sozialsystemen, insbesondere in Organisatioen. Netze stehen in dieser Tradition und brechen mit dieser, indem sie sie durch die bislang ausgebliebene und nunmehr ingang gesetzte automatisierte Vernetzung gesellschaftlicher Mitteilungsverarbeitungen vollenden. Diese generalisierte Kopplungsfunktion mittels Computernetzen rundet technisch eine Entwicklung ab, die mit dem Stromgenerator bzw. dem Elektromotor und den Verbindungskabeln vereint im Stromnetz als einem großtechnischen System einsetzte. Eine Umstellung von Handwerks- auf Industrieproduktion läßt sich sowohl zu Beginn der Industriellen Revolution als auch heute an der plötzlich einsetzenden starken Nutzung vernetzter Maschinen ablesen, die Menschen in ihrer Arbeit unterstützen oder ersetzen. Der bloße Maschineneinsatz oder die Größe der Maschinen, man denke nur an Schiffe oder Windmühlen, die es lange schon vor der industriellen Revolution gab, reichen zur Charakterisierung industrieller Produktion allein nicht hin. Als systematisches Kriterium liegt der technischen Umstellung auf Industrieproduktion generell die Reproduzierbarkeit von Maschinen durch Maschinen zugrunde (Anders 1980). Durch die Selbstbezugnahme von Maschinen auf Maschinen sind diese genau nicht nur als große, letztlich doch irgendwie von Menschen geführte Werkzeuge zu verstehen(Endnote 4) , sondern mit ihnen entsteht eine technische Realität sui generis, die ihre eigenspezifizierten technischen Formen mit eigensinnigen Störungen sozialer Systeme hervorbringt. Die maschinelle (und damit "eigensinnige") Reproduktion von Maschinen aus Maschinen setzte spätestens mit der Nutzung der Wattschen Dampfmaschine ein(Endnote 5) , die gegen Ende des 18. Jahrhunderts als generalisierte, von engen Raum- und Zeitvorgaben gelöste "Energiemaschine" zur Verfügung stand. Erst mit der Anwendung der spezifischen Leistungsfähigkeit der Dampfmaschine auf sich selber schuf sie die Voraussetzungen zur eigenen Wandlung von einer überwiegenden Holz-, zu einer Holz-Eisen-, zu einer Metallkonstruktion, was jeweils mit einer deutlichen Wirkungsgradsteigerung und einer Flexibilisierung der Raum-/ Zeitstellenfixiertheit der Maschine einherging, die wiederum eine Bedingung für das Entstehen von Maschinenvernetzungen war.(Endnote 6) Diese Technisierung der Produktion lief parallel zur Umstellung der Organisation der Produktion. Aus vielen zunftartig verfaßten Manufakturen und Handwerksbetrieben wurden bekanntlich Fabriken mit einem hohen Grad an Standardisierung der Abläufe, Arbeitsteilung und Automatisierung. Techniksoziologisch lassen Computer sich sowohl als kommunikativ rauschfreies Medium als auch als Maschinen, die auf ihre eigenständige Weise Kommunikationen bearbeiten, ausweisen (vgl. Esposito 1993).(Endnote 7) Diese für den Computer gültige Doppelseite gilt in ungleich stärkerem Maße auch für Computernetze. Im Unterschied zu Werkzeugen, die ihre Gegenstände entlang von Ursache-Wirkung-Ursacheverkettungen zu beobachten gestatten, sowie von Maschinen, deren Funktionsprinzip aus ineinander verschränkten Regelkreisen besteht (vgl. Bamme et al. 1983), läßt sich das Spezifikum großtechnischer Systeme in der Form ihrer Adressierungen und Operationen, knapp gefaßt als Protokolle, ausweisen (vgl. Rost 1997). In Computernetzen kommt es zu einer eigenständigen Bearbeitungsform von Kommunikationen nicht nur im Modus von Computer-Maschinen, sondern im Modus eines großtechnischen Systems als "Medium und Maschinerie". Der Begriff "Protokoll" reagiert dabei auf den in die allgemeine Soziologie neu eingeführten Grundbegriff der "Adressibilität" (Fuchs 1997). Unter einem Protokoll versteht man, allgemein ausgedrückt, ein Set an Operationen, mit denen Daten - damit sind soziologisch gewendet "verschriftlichte Sinneinheiten" gemeint - an Adressen angedockt und dann systemspezifisch prozessiert werden. Adressen funktionieren dabei nur als Markierungen für Kontaktpunkte verschiedener Systeme, noch ohne Bezug auf deren operative Seite.(Endnote 8) Konkret gewendet: Jedes Markup in einem Dokument ist eine Adressen, an der kontrollierte Operationen mit Daten durchgeführt werden. Eine solche Adressierbarkeit kann man sich anhand der Strukur eines Buches klarmachen: Eine Überschrift, ein Inhaltsverzeichnis, ein alphabetisch sortiertes Register, ein Verweis in einer Fußnote, der Titel eines Buches und der Autorname sind jeweils Beispiele für Adressen innerhalb eines Buchtextes, die bestimmte Verfahrensweisen der solcher Art bezeichneten Daten nahelegen. Das spezifisch-besondere eines großtechnischen Systems wie dem Internet liegt darin, daß solche Adressen in elektronisch zugänglichen Dokumenten zusätzlich auch technisch eigendynamisch gesetzt, verwaltet und auch wieder gelöscht werden in einem sehr viel größeren Ausmaß, als dies bislang auf Papier möglich war. Markups entsprechen hiernach Adressen, die als Kontaktpunkte für Links im weitesten Sinne fungieren. Diese Kontaktpunkte bestehen zwischen den Autoren, die solche Dokumente erstellen und verarbeiten, den sozialen Systemen, die solche Dokumente als bestimmte Kommunikationen prozessual über bestimmte Regeln konditioniert aneinanderschließen, und der Kommunikationstechnik, die solche Dokumente medial-technisch zugänglich macht und aneinanderschließt sowie maschinell verarbeitet. Der Begriff Protokoll gestattet insofern, den funktionalen Aspekt der Netze zu erfassen und die gern und viel verwendeten Metaphern zur Analyse des Internet, wie beispielsweise "gesellschaftlicher Informationsraum" (Baukrowitz/ Boes 1996) oder "Kommunikationsraum" (Stegbauer/ Rausch 1999), deren Raumvorstellungen sich am unterkomplexen Paradigma des "Behälters" orientieren (vgl. Paetau 1997), abzulösen. Nicht die Letztkopplung an einen bestimmten Raum ist für das Internet funktional charakteristisch, sondern die "selbsttragende", operativ zugängliche Verschränkung von Adressen. Auf dem generalisierten Transmissionsriemen Internet können sich dank dessen fein granulierter Adressierbarkeit Steuerungsanweisungen bei Bedarf weltweit in wenigen Sekunden automatisiert ausbreiten. Auf der protokolltechnischen Repräsentationsstufe der Steueranweisungen operieren die sogenannten Routing-Protokolle wie beispielsweise RIPE. RIPE dient dazu, Routingtabellen, über die das selbstorganisierte Zustellen von Datenpäckchen geschieht, verschiedener Netzcomputer automatisch auf den neuesten Stand abzugleichen. Dies muss automatisiert erfolgen, weil es unmöglich ist, dass menschliche Beobachter Tabellen pflegen, die Umleitungen enthalten, sobald Netzcomputer kurzzeitig ausgeschaltet werden oder Subnetze gestört sind oder ausfallen. Auf diese Weise ist das Internet, im Unterschied zu einer Maschine, in einem bemerkenswerten Ausmaß in der Lage, sich auf funktionaler Ebene selbst zu reparieren. Diese weitestgehend automatisierten Steuerungsanweisungen erlauben dann auf höheren OSI-Schichten stabile, wechselseitige, verschriftlichte Kommunikationen, die ihrerseits automatisiert aufeinander zugreifen können (zu OSI vgl. Tanenbaum 1990). Dies ist in Bezug auf wissenschaftliche Kommunikation, also vornehmlich im Medium von Texten, dann möglich, wenn Texte strukturell maschinengerecht vorliegen. Und das heißt vor allem, dass sie in standardisierter Form beispielsweise mit Hilfe von Dateiformaten wie der Standard Generalized Markup Language (SGML) (vgl. Vint 1998) oder eXtensible Markup Language (XML) (vgl. Behme/ Mintert 1999) oder einer erst noch auszuarbeitenden Diskurs-Markup-Language (DML) (vgl. Rost 1996c) vorliegen sollten. Auf Papier lassen sich diese strukturellen Zusätze, die Texte maschinenbeobachtbar machen, so dass Texte automatisiert-eigensinnig Kontakt zueinander aufnehmen können, so dass daraus weitere Textcorpora entstehen, praktisch nicht realisieren. Um es anschaulich auszudrücken: Es bedurfte zur faktisch-operativen Verselbständigung von Texten der Herausbildung der dritten maschinellen Dimension, die sozusagen senkrecht zum Papier steht. Diese durch das Internet ermöglichte automatisierte Zugänglichkeit von Texten für Maschinen ist das hervorzuhebende Merkmal: Obwohl einzelne Computer im Netz ohne menschlich-semantische Intelligenz als triviale Syntaxmaschinen operieren, können sie im technisierten Netzverbund die Kommunikationen von Beobachtern (im Unterschied zu deren unzugänglichen Mentalzuständen) verarbeiten und ihrerseits Kommunikationen auf eine solche Weise anstoßen, dass sie für menschliche Beobachter einen Sinngewinn abwerfen oder andere Maschinen ihrerseits zu Aktionen veranlassen. Dieser Aspekt der Interoperationalität spielt im Zuge der Industrialisierung der auf reflexive Mitteilungsverarbeitung spezialisierten gesellschaftlichen Formationen eine enorme Rolle. Zwischen Mensch und Text drängen sich zunehmend deren Leistungsfähigkeiten steigernden Maschinen. Ein Text wird dann auch semantisch nur noch mittelbar verarbeitet, nämlich unter Nutzung der von Rechnern erzeugten semantischen Alternativen. Als aktuelle Beispiele für den von Maschinen provozierten Sinngewinn lassen sich Suchmaschinen wie Altavista, Google oder Metacrawler anführen (vgl. Köhntopp 1997) oder, schon avancierter, Personal Agents, die Menschen im Umgang mit dem Netz assistieren (vgl. Helmers/ Hoffmann 1996; Wagner 1997) und Workflow- oder Groupware-Applikationen, die Teams führen (Burger 1997; Jablonski et al. 1997).(Endnote 9) Organisationen, die sich auf die Steuerungsleistungen des Internet einlassen und die ihre Maschinen und ihr Personal zunehmend flexibler, beispielsweise durch Workflow- oder intelligente Content-Managementsysteme permanent änderbar zusammenbinden, verändern sich - und nicht zuletzt auch das Selbstverständnis ihres Personals - gründlich. Diese Änderungen treffen vor allem diejenigen Organisationen hart, die bislang unter weitgehend nicht-industrialisierten Bedingungen produzierten wie beispielsweise Hochschulen und Institute, Verlage, Verwaltungen, politische Institutionen, Management-Abteilungen. Auf Basis des Internet entsteht ein generalisierter "Druck", dass Kommunikationen füreinander weitgehend automatisiert adressabel werden. Diese automatisierbare Adressabilität, die Entwicklung von Protokollen, die verschiedene Repräsentationsformen insbesondere von Texten auf verschiedenen Systemebenen operativ zugänglich halten, ist die maßgebliche technische Voraussetzung für die Industrialisierung des Wissenschaftsbetriebs. Nachfolgend möchte ich mich auf die Industrialisierung der Wissenschaftsorganisationen konzentrieren, auf die das Internet, durchaus in dessen kleinformatigen Inkarnation als Mailinglist, eine katalytische Differenzierungswirkung ausübt. 3.2 Die Industrialisierung der Wissenschaftsorganisationen
An diesem unterdessen gut abgehangenen Befund von Negt/ Kluge knüpfe ich mit der Behauptung an, dass sich durch die Nutzung des Internet gesellschaftsweit die mit Mitteilungsverarbeitung befaßten Organisationen, unter ihnen insbesondere Wissenschaftsinstitutionen, anschicken, ihre bislang zunftartig-handwerkliche Organisationsstufe wissenschaftlicher Produktion zu verlassen und ein industrialisiertes Niveau zu erreichen. Damit passen sie sich einem Produktionsniveau an, das die mit "Materialverarbeitung" befaßten Organisationen (bzw. Organisationsteile) in der Regel, aufgrund der ungleich leichteren Algorithmisierbarkeit ihrer Tätigkeitsfelder, früher erreicht haben. Diese These von der Fortsetzung des Industrialisierungsprojekts durch den breiten Einsatz von Computern (vgl. Lutz 1990; Steinmüller 1993) ist so wenig neu wie die These von der computergestützten Industrialisierung der Wissenschaft (vgl. Hack/ Hack 1985; Halfmann 1994). Diese These gewinnt allein dadurch an Plausibilität, weil der finanzielle und personale Anteil an Forschung und Entwicklung in der Industrie um ein Mehrfach größer ist als der durch Hochschulen organisierte, wie Matthias Wingens vor kurzem nachwies (vgl. Wingens 1998). Die von Wingens' entwickelte These von der Industrialisierung der Wissenschaft läuft darauf hinaus, dass nicht nur die industrielle Produktion seit etwa Mitte der 19. Jahrhunderts verwissenschaftlicht wurde (Stichwort: Taylorismus), sondern dass auch umgekehrt ein relevanter Anteil von Wissenschaft in den Betrieben industrialisiert betrieben werde. Aus meiner Sicht lässt sich ein sehr viel stärkerer Begründungszusammenhang für die Industrialisierungsthese entwickeln, wenn man an den Produktionsbedingungen von Wissenschaft selbst ansetzt. Dabei gilt zunächst einmal, Forschung von Wissenschaft zu unterscheiden. Wissenschaft zeichnet sich wissenschaftstheoretisch dadurch aus, dass sie auf den Diskurs als Korrektiv unabdingbar angewiesen ist. Forschung dagegen läßt sich durch Wissenschaft inspirieren, setzt aber statt auf Diskurse innerhalb der Scientific Community auf andere Korrektive (wie persönliche Karrierekalküle, marktpolitische Strategien oder politisch motivierte Strategien zur Entwicklung technischer Infrastrukturen). In Unternehmen muss ein strategisch unkontrolliertes Abfliessen von Forschungsergebnissen gefürchtet sein, weil die von Unternehmen intern organisierte Forschung zwecks Erlangung von Pioniergewinnen auf die möglichst exklusive Entwicklung neuer, marktfähiger Produkte zielen muss. Kapitalmarkt- und nicht Diskursfähigkeit entscheidet hier über die Qualität der geleisteten Forschung. Aus Forschung kann jedoch Wissenschaft werden von dem Moment an, von dem an das Erforschte publiziert und dadurch dem wissenschaftlichen Diskurs ausgesetzt wird. Die Behauptung von der "Industrialisierung der Wissenschaft" sollte deshalb zum einen von einer in industrialisierten Umgebungen etwaig industriell betriebenen Forschung unterschieden und zum anderen auf die Produktionsbedingungen wissenschaftlicher Diskurse bezogen werden. Und auch die Formulierung von der "Industrialisierung der Wissenschaft" ist genauer zuzuspitzen. Die Produktionsbedingungen wissenschaftlicher Diskurse werden durch Wissenschaftsorganisationen festgelegt, weshalb die Rede von der "Industrialisierung d e r Wissenschaft" auf die "Industrialisierung der diskursorientierten Wissenschaftsorganisationen" enggeführt werden sollte. Als Wissenschaftsorganisationen sind insbesondere die Hochschulen, die Hochschulinstitute, die Kulturbehörden, die über die Besetzung von Lehrstühlen entscheiden (und darüber Einfluß auf wissenschaftliche Diskurse nehmen), sowie die Verlage für wissenschaftliche Aufsätze und Bücher zu nennen. Die Formulierung von der "Industrialisierung" zur Kennzeichnung gesellschaftlicher Entwicklungen, ist zweifellos problematisierbar, zumal sich die Soziologie schon lange um die Formulierung von Gesellschaftskonzepten bemüht, die nicht mehr im "Dunstkreis" von Industrie stehen.(Endnote 10) . Diese Konzepte konzentrieren sich auf einen Aspekt und stellen diesen besonders klar heraus. Dadurch gewinnen sie den Vorteil, dass sie die daran anschliessende Begriffsentwicklung vergleichsweise gut kontrollieren können. Im Begriff der Industrialisierung, oder gar der Industriegesellschaft, sind im Vergleich dazu viele heterogene Aspekte zusammengezogen: Technik, Organisation, Gesellschaft, Politökonomie, Arbeit, ... Die traditionelle Rede von der "Industrialisierung" läuft deshalb Gefahr, die inzwischen als eigensinnig operierend ausgewiesenen Systeme zu schlicht kurzzuschliessen. Sie zielt eher auf die Formulierung von Notwendigkeiten als auf den Ausweis von Alternativen. Trotz dieser Einwände läßt sich am Begriff der "Industrialisierung" festhalten, weil er im Hinblick auf die Möglichkeiten zur Öffnung als auch zur Engführung von theoretischen Phantasien noch nicht hinreichend ausgereizt und zu früh fallengelassen wurde (vgl. dazu Pirker/ Müller/ Winkelmann 1987), ohne zumindest testweise Bezüge zum Internet herzustellen. Das Internet gelangte so gesehen etwas zu spät auf die theoretischen Monitore. Allerdings gilt es zu beachten, ihn nicht als generalisierenden, gesellschaftstheoretischen Begriff (Industriegesellschaft) einzuführen, sondern bescheiden nur zur Beobachtung von Veränderungen in Organisationen in Bezug auf Arrangements zwischen Strukturen der Kommunikation, der Arbeitsorganisation, des Technikeinsatzes und der Personkonzepte zu nutzen. Der Begriff "Industrialisierung" fokussiert traditionellerweise insbesondere auf die Herausbildung von Standards, die sowohl organisatorische Verfahren als auch technische Abläufe betreffen, die wenn etabliert neue Aggregationen von algorithmisierten Vernetzungen ermöglichen. Und genau solche ausformulierten und praktisch umgesetzten Standards auf der Schnittstelle von Organisation und Technik, in der für das Internet traditionellen Form der RFC-Texte ("Request-For-Comments"), bilden die sozial-operative Grundlage für das Funktionieren des Internet. Dass das Festhalten an dem Begriff der Industrialisierung, gerade unter den gegenwärtigen Bedingungen des Einflußes des Internet, lohnen kann, zeigt sich beispielsweise in der Beurteilung der beiden von Bell vorgelegten Merkmale einer "postindustriellen Gesellschaft". Bell hob als Merkmale der postindustriellen Gesellschaft "die zentrale Stellung des theoretischen Wissens und das zunehmende Übergewicht der Dienstleistungswirtschaft über die produzierende Wirtschaft" (Bell 1979: 13) hervor. Diese Merkmale taugen im Nachhinein betrachtet, insbesondere mit gesellschaftsanalytischem Ehrgeiz, wenig. Industrialisierung zeichnet sich generell durch eine hohe Bedeutung "theoretischen Wissens" aus, wenn man allein daran denkt, wie die parallel zur Industrialisierung laufende Alphabethisierung der Bevölkerung ingang kam.(Endnote 11) Und geradezu als ein Charakteristikum für die Spätphase der Industrialisierung läßt sich die sehr weit reichende Maschinisierung auch der "Dienstleistungswirtschaft" ausweisen. Dabei kann das Zählen von Beschäftigten, nach Sektoren geschieden, keinen Maßstab für die Bewertung irgendeines Übergewichts eines Sektors abgeben. In Folge der zunehmenden Maschinisierung von bislang gering technisierten Bereichen der Organisationen ist davon auszugehen, dass auch in diesen Bereichen in the long run der Anteil der Beschäftigten wieder zurückgehen wird.(Endnote 12) Bell rechnete offensichtlich nicht mit der Möglichkeit zur Industrialisierung auch von Dienstleistungen.(Endnote 13) Was hat man sich unter industrialisierter wissenschaftlicher Produktion vorzustellen? Wissenschaftsorganisationen, die industrialisiert produzieren, zeichneten sich insbesondere durch vier Merkmale aus:
Allgemeiner gesprochen soll Industrialisierung also einen Zusammenhang von Arbeitsorganisation, Technikeinsatz, standardisierter Kommunikation sowie einem spezifischen Selbstverständnis der beteiligten Personen in Organisationen bezeichnen.(Endnote 14) Gegenwärtig produzieren die Wissenschaftsorganisationen im Ganzen noch immer vorindustriell. Die Sozialverhältnisse lassen sich überschlägig als zunftartig bezeichnen. Entsprechend gering ist die technische Unterstützung beim Führen, Auswerten und Ingangsetzen von Diskursen, entsprechend bieten stattdessen Status, Position und Reputation Orientierung. Und entsprechend ist nicht zuletzt auch die Selbstauffassung des Personals ausgebildet, mit strukturell weitgehend überschätzt-omnipotenten Meistern auf der einen und strukturell weitgehend irrelevanten Lehrlingen und Gesellen auf der anderen Seite.(Endnote 15) Das "Produkt" der Wissenschaftsorganisationen besteht in der Kontrolle der Variation, Selektion und Stabilisierung wissenschaftlicher Diskursbeiträge. Für die traditionellen wissenschaftlichen Institutionen bemessen Redakteure, Lektoren, externe Gutachter und nicht zuletzt Berufungsausschüsse die Qualität von Wissenschaft und Wissenschaftlern anhand von Texten. Das Zustandekommen der Entscheidungen ist dabei allerdings undurchsichtig: Ein Text wird dann publiziert, nachdem ein anerkannter Experte oder eine anerkannte Gruppe von Experten über einen Text entschied und ihn eben anerkannte oder nicht, und dann zumeist Weisungen erteilt, wie der Text zu verbessern sei, damit er den allgemein erwarteten Qualitätsstandards entspräche. Bewertungsfilter wie diese sind funktional grundsätzlich unabdingbar, verfahrenstechnisch in der gegenwärtig etablierten Form aber nur deshalb akzeptabel, weil eine Vielzahl verschieden eingestellter Filter das Maß an Willkür im Einzelnen erträglich hält. Bei Bedarf weicht ein hartnäckiger Autor derzeit auf solche Filter aus, die seinen Beitrag durchlassen. Die allseits gewünschte Filterwirkung durch Begutachtungen ist für das Wissenschaftssystem damit jedoch zu einem guten Teil wieder aufgehoben: Es kann letztlich nicht nur jeder noch so banale Beitrag doch irgendwo publiziert werden, sondern es ist vor allem unmöglich, als Wissenschaftler tatsächlich einen Überblick zum aktuellen Stand der Diskussion in allen ihren Facetten und evolutionären Verästelungen zu erhalten. Man behilft sich deshalb allseits mit einer informellen, trotzdem in der Spitze weitgehend als konsistent wahrgenommenen, Reputationshierarchie an Fachverlagen, Hochschulen, Forschungsinstituten und Kollegen. So kritisch der wissenschaftliche Diskurs wissenschaftstheoretisch verfaßt sein soll, so vertrauensselig muss den Reputationsspitzenreitern Gefolgschaft geleistet werden, im Vertrauen allein auf die selbstregulative Wirksamkeit nicht der Diskurse, sondern der allseitigen Reputationskalküle. Zugleich muss jedoch eine kritisch-erörternde Zurückhaltung zumindest simuliert werden. Im Ergebnis wird der Anschluß von Kommunikationen an Kommunikationen über die Orientierung an der Reputation der Autoren und Organisationen konditioniert, nicht jedoch über die wissenschaftstheoretisch geforderten, demokratischen Entscheidungen einer Scientific Community.(Endnote 16) Die Unterkomplexität der Wissenschaftsorganisationen läßt demokratische Verfahrensweisen nicht zu, weil faire Sichtungs- und Bewertungsverfahren, die nicht durch zwar funktionale, aber wissenschaftstheoretisch unzulässige politische oder pragmatisch-verfahrenstechnische Abkürzungen ersetzt sind, mit Papier als technisch-operativem Verbreitungsmedium viel zu viel Zeit kosteten. Die traditionellen Verfahren befestigen die Wiederkehr des immer Gleichen und deren darauf bezogenen Negationen, und immunisieren zugleich gegen das Andere.(Endnote 17) Mailinglists sind in die etablierte akademische Reputationshierarchie nicht integriert, sie liegen außerhalb der Hierarchie. Die selbstverständlich anzutreffende informelle Anerkennung von gehaltvollen Mailinglist-Texten kluger Autoren trägt nichts zur deren Mehrung an Reputation in den traditionellen Wissenschaftsorganisationen und somit nichts zu deren existentiellen Sicherung bei. Weil die Mailinglist-Beiträge zu kleinformatig ausfallen und an keine Wissenschaftsinstitution adressiert sind, sprechen die etablierten Bewertungsfilter nicht an... weil diese Bewertungsfilter nicht ansprechen, fallen die Beiträge in Netzforen kleinformatig aus. Wissenschaftlich gehaltvolle Ideen in elektronische Foren zu setzen, heißt in dieser Sicht diese zu verschenken. Das "Verschenken von Ideen" in Mailinglists können sich nicht nur diejenigen leisten, die ihrem Status gemäß nichts zu verlieren haben. Zu ihnen zählen Dilettanten, Hasardeure, Spieler, Studenten oder Privatgelehrte im Wortsinne. Das Verschenken können sich jedoch gerade auch diejenigen leisten, die entweder schon ein bischen gewonnen haben, weil sie beispielsweise Aufsätze in angesehenen, traditionellen Publikationsmedien veröffentlichten, oder die bereits alles gewonnen haben: Professoren. Die größten Probleme bei der Nutzung von Mailinglists hat der drängend-forschende Mittelbau, weil er sich am stärksten latent in Sorge befindet, innovative, noch nicht öffentlich abgestützte Thesen, die ihn gerade umtreiben, preiszugeben. Deshalb liegt für diesen mehr als für alle anderen Mitglieder eine abwartend-konsumtive Haltung nahe. Zugleich zeigt ein erfahrener Umgang mit einer Mailinglist, dass nur dann gehaltvolle Antworten zu erwarten sind, wenn schon die Fragen hinreichend gehaltvoll geformt wurden. Etwas anders formuliert: Eine funktionierende Mailinglist springt leicht nur dann im Modus einer Thesentest- und Thesengeneriermaschine an, wenn sie ihrerseits mit gehaltvollen Thesen gefüttert wird. Thesen schliessen systematisch besonders leicht an Thesen an. Wenn die Reproduktion von Thesen gelingt, decken funktionierende Mailinglists somit eine Lücke ab, die von den trivialen Faktenabrufmaschinen der Literaturdatenbanken und Suchmaschinen im Internet offengelassen wird. Die rein passiv abwartende Haltung gegenüber einer Mailinglist ist insofern suboptimal bzw. der Wirkungsgrad unter dem Aspekt der Aufmerksamkeitsökonomie (vgl. Rötzer 1998) eher schlecht, gerade wenn die Generierung frischer, öffnender Thesen für die eigene Arbeit ansteht. Mailinglists bestehen insofern neben den etablierten Wissenschaftsdiskursmedien. Sie zeigen, trotz der gleich zu besprechenden strukturellen Schwächen, dass das Führen realer Diskurse tatsächlich möglich ist. Sie untergraben tendentiell das traditionelle Reputationsmodell, indem tatsächlich mit überraschenden Beobachtungen, originellen Argumenten und Gegenargumenten aufgewartet werden muss, wobei das Schweigen nicht als unergründliche Tiefe sogar reputationsförderlich, sondern schlicht als Sprach- besser Argumentationslosigkeit interpretatierbar wird. Mailinglists fangen zudem an, das Produktionsmodell von Wissenschaft zu verändern. So kann der Gesamtext einer Mailinglist oder die Entwicklung einer Argumentation keinem einzelnen Autoren mehr zugerechnet werden. Und nicht zuletzt sind Mailinglisttexte sowohl für Menschen als auch für Maschinen zugänglich. Texte geraten somit in ein Netz maschineller Adressierbarkeit - wenn auch auf einem zunächst noch rudimentären Niveau. Nicht zuletzt ermutigen Erfahrungen im Umgang mit Mailinglists womöglich zu neuen Formen e-mailgestützter Zusammenarbeit (vgl. Rost 1996b). Mailinglists führen insofern einen kleinen Schritt in Richtung der Industrialisierung des wissenschaftlichen Diskurses bzw. der Wissenschaftsorganisationen.(Endnote 18) Dass insbesondere elektronische Foren alsbald im vollgültigen Maße auch für karriererelevante wissenschaftliche Diskurse verbindlich in Gebrauch genommen und die papierenen Verbreitungsmedien ablösen werden, scheint allgemein ausgemacht, denn zu stark wiegen insbesondere die operativen Vorteile eines elektronischen Verbreitungsmediums. Allerdings werden nicht nur bis dahin die strukturellen Schwächen von Mailinglists bzw. allgemeiner von elektronisch gestützten Diskursforen behoben sein müssen, die sich im Vergleich zum Papier nicht, sehr wohl aber im Vergleich zu den inhärenten Möglichkeiten abzeichnen. 3.3 Die Schwächen von Mailinglist-Diskursen und deren mögliche BehebungMailinglists weisen, in Bezug auf das Führen wissenschaftlicher Diskurse, drei besonders herauszuhebende Schwächen auf: So vertragen Mailinglists zum einen in nur einem ganz eng beschränkten Maße Paralleldiskussionen, zum zweiten lösen die in ihnen geführten Diskurse zu hoch auf, und zum dritten stellt sich die Frage, wie ein gutes Qualitätsniveau erreicht und gehalten werden kann. Diese Schwächen sollen zunächst ausführlicher veranschaulicht werden, um anschließend einige Überlegungen zu deren Behebung anzustellen. Jeder neue Beitrag, gleichgültig ob er ein neues Thema initiiert oder ein bereits bestehendes Thema fortsetzt, konkurriert um die Aufmerksamkeit sämtlicher Mailinglist-Mitglieder.(Endnote 19) Mailinglist-Beiträge reproduzieren dabei zwar das Subsystem Wissenschaft, solange die Kommunikationen sich am Wahr/Unwahr-Code orientieren (vgl. Luhmann 1992). Und die Teilnahme an einer Mailinglist setzt, als nicht zu vernachlässigendes organisatorisches Moment, zudem eine Mitgliedschaft voraus, die durchaus an das Bewältigen höher Einstiegshürden und die Teilnahme an fortgesetzte Entscheidungen zur Aufrechterhalung der Mailinglist geknüpft sein kann. Doch die Selektion, Stabilisierung und Variation der aneinanderschliessenden Kommunikationen innerhalb der Mailinglist geschieht ganz überwiegend mit den vergleichsweise unterkomplexen Mitteln, wie sie von Interaktionssystemen zur Verfügung gestellt werden. Fernanwesende Teilnehmer korrigieren einander, fragen nach, bestreiten und bestärken, etwa so, wie sie es in einem Seminar oder auf einem Symposium auch täten. Im Unterschied zu Face-To-Face-Interaktionen geschieht dies jedoch raum- und zeitstellenflexibel sowie mit ungeprüfter Authentizität in einem obendrein auch noch maschinell zugänglichen Schriftmedium. Beiträge werden automatisch archiviert und können mit einfachen Mitteln anhand vorgegebener Begriffe technisch durchsucht werden. Es wird insofern nichts unkontrolliert, so wie in technisch nicht gestützten Interaktionssystemen, vergessen.(Endnote 20) Kurz gesagt: Die kommunikative Kapazität von Mailinglists entspricht derzeit, trotz einiger organisatorischer Eigenschaften, der fehlenden Authentizität von Argument und Person sowie der technischen Stützung, die keine face-to-face-Anwesenheit voraussetzt, weitgehend der von Interaktionssystemen.(Endnote 21) Ferner ist bei den derzeitigen Mailinglistdiskussionen auch das Auflösungsniveau der Kommunikationen in dem Sinne zu hoch, als dass einzelne, kleinformatige Thesen und Begriffe nahezu beliebig variiert, selegiert, stabilisiert werden, nicht jedoch methodisch vom Textkorpus abgesicherte, längerkettige Kommunikationsverblockungen zu bereits stabilisierten Beobachtungen, Modellen und Theorien, auf die sich die Entscheidungen in Form von Bewertungen und Urteilen von Wissenschaftsinstitutionen als ganze beziehen könnten und die Neueinsteigern eine Orientierung in der Textlandschaft bieten. Grundlegende Paradoxien und altbekannte Einsprüche müssen immer wieder auf's Neue behandelt werden. Und es fehlt bei den meisten offen zugänglichen, wissenschaftlichen Mailinglists an programmatischen Vorrichtungen, mit denen sich Beiträge in einen bereits bestehenden Diskurs strukturell einbinden, auf eine demokratietheoretisch akzeptable Weise bewerten und gegebenenfalls, zur Wahrung einer erwartbaren Qualität, auch von der Publikation ausschließen lassen. Bislang verständigen sich die Teilnehmer offen zugänglicher elektronischer Foren vorwiegend anhand programmatischer Beiträge über Erwartungen an Zweck und Qualität der von ihnen genutzten Foren. Das ist zwar ein diskursives, für alle Teilnehmer klar durchsichtiges und damit wissenschaftspolitisch begrüßenswertes Verfahren zur Regulierung der Themen und Qualität von Beiträgen, doch reicht die Zahl solcher Regulativbeiträge in manchen Malinglists sporadisch an die der thematisch orientierten Nutzbeiträge heran oder übertrifft diese sogar. In einigen Fällen behilft man sich zur Besserung des Rausch-Nutzsignalabstands stattdessen damit, Moderatoren einzusetzen, denen Diskursbeiträge vor der Weiterleitung an die Mailinglistmitglieder zugeschickt werden müssen und die diese dann, nach welchen Kriterien auch immer, entweder weiterleiten oder zurückschicken und ablehnen.(Endnote 22) Diese Verfahren sind entweder politisch nicht hinreichend durchsichtig und legitimiert oder aufwändig und anstrengend oder funktionieren zu langsam und können dadurch auf Dauer auf alle Beteiligten entmutigend wirken. Statt die traditionellen Verfahren aus der Papier-Ära auf das elektronische Verbreitungsmedium zu übertragen, stellt sich die Frage, ob Bewertungsverfahren auf Grundlage eines elektronischen Verbreitungsmediums nicht ganz anders funktionieren sollten. Es gilt, die operative Leichtigkeit der Publikation, Distribution und Konsumtion von Texten in elektronischen Diskursforen mit einer ebensolchen operativen Leichtigkeit auch bei der kommunikativen Bewertung von Texten zu verbinden. Oder etwas anders formuliert: Es gilt, die neue Leichtigkeit, mit der Mitglieder auf elektronischer Basis aktiv an Diskussionen teilnehmen können, nicht durch die traditionell-repräsentativen Bewertungsverfahren auszubremsen. Kommt in einer Mailinglist eine Diskussion, also eine Verkettung von Beiträgen, die im Netzjargon als Thread (engl.: Faden, auch: Gewinde) bezeichnet wird, zustande, dann war jeder Beitrag dazu, im Nachhinein betrachtet, einfach faktisch relevant. Ob ein Thread entstehen wird - der sich durchaus an einem offensichtlich inadäquaten Beitrag entzünden kann, an dem beispielsweise die mangelnde Qualität thematisiert wird -, ist grundsätzlich im Vorhinein auch durch fachlich überaus kompetente Experten nicht abzusehen. Trotz der Problematik vorwegnehmender Filterungen muss es auf der anderen Seite Mittel geben, die es Diskurs-Teilnehmern bei Bedarf ermöglichen, ihren technisch formulierbaren, persönlichen Bewertungsfilter so zu trimmen, dass möglichst nur die interessanten Beiträge passieren. Eine netzadäquate Lösung könnte darin bestehen, Beiträge durch die Mitglieder erst im Nachhinein bewerten zu lassen, so dass die Mitglieder bei fortgesetzter Nutzung je für sich Kriterien gewinnen können, die ihnen bei Bedarf eine persönliche Auswahl auch im Vorhinein zu treffen erlauben, die zugleich jederzeit revidiert werden kann. Es sind derzeit zwei Projekte zu nennen, die eine solche Lösung technisch umzusetzen versuchen: In dem ersten Projekt können Mitglieder an einer, parallel zur Mailinglist eingerichteten Börse Aktien von Teilnehmern an Mailinglists sowie von Themen kaufen. Sobald ein Mailinglistmitglied als Autor auftritt, wird er automatisch an dieser Börse notiert. Nach einiger Zeit ergeben sich dann zumindest für einige Autoren und Themen höher dotierte Kurse, deren gute Verwertbarkeit sich zugleich als Maßstab für Wertschätzung interpretieren liessen (Mindbroker). Ein solches Verfahren ist sehr leistungsfähig, weil es die Entschiedenheit eines punktuell bestimmten, eindeutigen "Preises" bietet, ohne diese Bestimmtheit länger als für den jeweils interessanten Moment, an dem die Beteiligten an einer Entscheidung interessiert sind, festzuschreiben. Somit kommt es zu Konjunkturen der Wertschätzung von Autoren und Themen. Bislang leidet dieses Modell, das sich sehr viel breiter als nur zur Selbstregulation von Mailinglistbeiträgen nutzen läßt, daran, dass kein "echtes" Geld eingesetzt werden darf. In dem zweiten zu nennenden Projekt bewerten die Mitglieder einer Liste die Beiträge analog zu Schulnoten, die an einen Scoring-Server geschickt werden. Der Server speist die dadurch zustandekommenden Bewertungsreports regelmäßig in die Mailinglist ein. Auf diese Weise schälen sich im Laufe der Zeit allseits geschätzte Themen und Autoren heraus, auf die die Mitglieder bei Bedarf ihre persönlichen Filter in den Mailprogrammen einstellen können. Zugleich werden allseits geschätzte Autoren ermutigt, weitere Beiträge anzufertigen, die Autoren schlecht bewerteter Beiträge werden von der Publikation weiterer Beiträge entmutigt (vgl. Rost 1998). Bemerkenswert an dem zunächst vergleichsweise weniger elegant erscheinenden zweiten Verfahren ist, dass es nach Content-Quality und Thread-Quality zu unterscheiden erlaubt. Die Content-Quality zielt auf den inhaltlichen Gehalt eines Beitrags und muss von den Mitgliedern der Mailinglist beurteilt werden. Die Thread-Quality zielt dagegen auf die Attraktion eines Beitrags für Folgebeiträge und ist weitgehend technisch formalisiert beobachtbar. Wenn auf einen Beitrag weitere, bezugnehmende Beiträge folgen, dann hat ein solcher Beitrag faktisch eine hohe Thread-Qualität entwickelt.
Eine hohe Content-Quality muss nicht zwangsläufig mit einer hohen Thread-Quality einhergehen: Ein inhaltlich gehaltvoller Beitrag (gar eines reputierlichen Autoren) bedarf womöglich weder einer Ergänzung noch gibt er einen Anlaß, etwas zu bestreiten. Wurden bis zu diesem Beitrag auch Gegenthesen präsentiert und Details ergänzt, so wirkt sich ausgerechnet die hohe inhaltliche Qualität dieses abschliessenden Beitrags fast als eine kommunikative Katastrophe aus. Denn das Thema stoppt schlagartig und fällt als eine weitere Pumpe für Nachfolgebeiträge aus. Die Thread-Qualität eines solchen Beitrags ist demnach maximal niedrig. Thematisch besonders gehaltvolle, gute Beiträge sind somit grundsätzlich erst einmal ein Risiko für den Fortbestand einer Mailinglist. Die kommunikative Katastrophe des Systemkollabs betrifft tatsächlich jedoch primär die thematische Autopoesis der Liste, die sich beendet, nicht aber die Autopoesis der Beiträge der Mailinglist insgesamt, weil Erinnerungen an gehaltvolle Debatten vermutlich das Entstehen neuer Beiträge zu anderen Themen auf ähnlichem Niveau erleichtern. Und: Der schmalbandige Kanal mit der geringen kommunikativen Kapazität eines Interaktionssystems wird durch den Abschluß eines Themas wieder frei. Im Unterschied dazu können einzelne Beiträge, die inhaltlich weitgehend belanglos sind, durchaus eine hohe Thread-Qualität erreichen, indem sie zu nachfolgenden Beiträgen führen, die Verfehlungen oder die Belanglosigkeit des Beitrags feststellen. Beiträge dieser Art helfen, die thematischen Erwartungen und Qualitätsansprüche einer Mailinglist selbstorganisiert zu justieren. Allerdings gefährden fortgesetzt belanglose Beiträge, die permanent die Mailinglist selbst thematisieren und dann nicht einmal mehr von anderen Teilnehmern kommentiert werden, nicht nur die thematische Autopoiesis, sondern auch die langfristige Autopoesis der Reproduktion von Beiträgen aus Beiträgen insgesamt, weil mehrfach gescheiterte, ambitionierte Initiativbeiträge jeden neuen Beginn entmutigen. Eine derart derangierte Mailinglist überfordert durch den Wechsel von anhaltendem Rauschen und anhaltender Stille die Aufmerksamkeit der Mitglieder und macht das Forum für kompetente und eigentlich schreibbereite Teilnehmer unattraktiv. Ein in beiden Dimensionen optimaler Mailinglistbeitrag bietet demnach sowohl eine inhaltlich-thematisch hohe Qualität und provoziert darüberhinaus bezugnehmende Folgeartikel. Ein solch optimaler Mailinglistbeitrag zeichnet sich, in einem fast perfekten Unterschied, um also nicht zu sagen: im Gegensatz, zu traditionellen Aufsätzen in Fachzeitschriften oder Büchern, dadurch aus, dass er das Thema auch nicht andeutungsweise erschöpfend zu behandeln vorgibt, sondern sich knapp gehalten auf einen Aspekt konzentriert und dabei rhetorisch die Einnahme aussichtsreicher Gegenpositionen überläßt. Gegenargumente werden nicht schon vorwegnehmend-simulierend behandelt, sondern erst dann erörtert, nachdem sie tatsächlich vorgebracht wurden. Der aktive Umgang mit Mailinglists erzeugt dadurch ein methodisches bzw. strategisches Verständnis für den Einsatz verschiedener Textsorten. Das Ziel beider Verfahren besteht darin, das Diskursniveau durch die Bewertung von Autoren und Themen mit neuen Mitteln zu regulieren.(Endnote 23) Diese neuen Verfahren sind für problemlösungs- und reflexionsorientierte Diskurse ungleich leistungsfähiger, weil diese der neuen Leichtigkeit der Mitteilungsverarbeitung, des Vertriebs und der Herstellung neuer Mitteilungen nun auch eine neue Leichtigkeit der transparenten Auswahl bzw. des Bewertens beiseitestellen. Zudem steigern sie die Rechtssicherheit der Funktionsträger von Diskursforen, wenn es darum gehen sollte, Autoren destruktiver Beiträge auszuschliessen.(Endnote 24) Neben der Frage nach netzangemessenen Bewertungsverfahren von Diskursbeiträgen, die sich nicht länger an den für Papier tauglichen Verfahren orientieren müssen, stellt sich auch die Frage, welche neuen, netzangemessenen Strukturierungsmittel für Diskurse zur Verfügung stehen. Hier liesse sich an eine "Diskurs-Markup-Language" denken, mit der die Konditionierung der Kopplung von Sätzen an Sätze technisch-operativ ausgewiesen wäre (vgl. Rost 1996c). Mit Hilfe einer Diskurs-Markup-Language wäre es Autoren möglich, die Struktur von Diskursen bzw. die Verschränkung der Bezugnahme von Argumenten innerhalb eines Dokuments explizit auszuweisen. Und es wäre Lesern möglich, sich innerhalb eines Textkorpus effizient zu orientieren. Zur Kennzeichnung der Struktur von Daten, die innerhalb wissenschaftlicher Diskurse typischerweise benutzt werden, bedarf es einer ganzen Reihe an Markups, etwa der folgenden Art: THESE, DEDUKTION, INDUKTION, ABDUKTION, ANMERKUNG, HINWEIS, ANEKDOTE, BEISPIEL, FRAGE, ANTWORT, ZUSAMMENFASSUNG, ZUSTIMMUNG, ABLEHNUNG, ZWEIFEL, BESTÄTIGUNG, PROGNOSE, BEOBACHTUNG. All diese Bezeichnungen kennzeichnen Aussagen von Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Solche Markups, die die Elemente einer Art Diskurs-Grammatik bezeichneten, ließen sich dann jeweils mit Attributen versehen, um zu differenzierteren Anschlüssen von Sätzen an Sätze zu gelangen. ANMERKUNGEN etwa wären beispielsweise in historische, soziologische, logische, psychologische, etymologische, physikalische oder natürlich auch in ökonomische und politische zu unterteilen. Zusammengehalten wird dieses Set an Markups unter dem Aspekt, ob sie die Oszillation zwischen wahrer und falscher Argumentation, wie sie für wissenschaftliche Kommunikation bezeichnend ist, gestatten. Ein mit einer DML strukturiertes Dokument könnte beispielsweise wie folgt aussehen: <!DOCTYPE SOCIOLOGY-DML.DTD "-//W3C//DML 5.0//DE"> <DML-SOCIOLOGY> <GETLINK:SOCIOLOGY> <PUTLINK:SOCIOLOGY>Computernetze, industrielle Revolution</PUTLINK> <BODY> <THESE1> Mit der Nutzung der Computernetze vollendet sich das Projekt der Industrialisierung. </THESE1> <ANMERKUNG1:THESE1> Die gewagte Verwendung des Begriffs <M>Vollendung</M> bezieht sich auf die der Physik entlehnten Differenz von Energie und Information: Nachdem sich die mit Energieumwandlungen befaßten gesellschaftlichen Bereiche bereits seit dem 19. Jahrundert in einem Prozeß der Industrialisierung befinden, werden nun auch die bislang aussenvorgelassenen gesellschaftlichen Bereiche der Informationsverarbeitung erfaßt. </ANMERKUNG> <THESE2> Eine <M>Industrialisierung</M> geht einher mit der Zunahme der <M>Demokratisierung</M>, <M>Kapitalisierung</M> und <M>Verwissenschaftlichung</M> einer <M>Gesellschaft</M> und bedeutet technisch eine maschinelle Herstellung von <M>Maschinen</M> durch Maschinen. <GETLINK:HISTORY,POLITOLOGY,ECONOMY,TECHNOLOGY> </THESE2> <DEDUKTION1:THESE1-THESE2><PUTLINK:SOCIOLOGY> Mit der Nutzung der Computernetze vollendet sich die Demokratisierung, Kapitalisierung und Verwissenschaftlichung einer Gesellschaft. </PUTLINK></DEDUKTION> </BODY> </DML-SOCIOLOGY> Durch eine DML wäre zugleich eine hochauflösende Adressierbarkeit wissenschaftlicher Kommunikationen als auch deren industrielle Verarbeitung erreicht. Die zugrundeliegende Diskursgrammatik kann, weil sie symbolisch explizit ausgewiesen ist, selbst zum Gegenstand kommunikativer Reflexionen und technischer Operationen werden. Die Einführung einer DML zur Strukturierung von Diskursen bedeutete eine Abkehr von konventionellen Textverarbeitungen, die wie WinWord bloss der Vervollkommnung des Papierparadigmas verhaftet sind, und eine Hinwendung zu operativ orientierten Datenbank- und Workflowsystemen.(Endnote 25) Eine DML liesse sich sinnvoll zur Strukturierung der Diskurse auch in Mailinglists einsetzen, um auf diese Weise zu einem höheren Aggregationsniveau von Argumenten und Thesenfolgen zu gelangen. Eine DML wäre aber vor allem sinnvoll, um den konventionell als Enzyklopädie organisierten Textkorpus einer Wissenschaft zu strukturieren. Ein solcher Textkorpus, der konkret über verteilte Datenbanksysteme organisiert wäre(Endnote 26) , sollte dann per Web zugänglich sein. Unter dieser Perspektive ist die geringe Kapazität einer Mailinglist in Bezug auf parallel führbare Debatten vielleicht nicht einmal eine Schwäche.(Endnote 27) EndnotenEndnote 1: Ich schliesse mit den nachfolgenden Ausführungen an erste Überlegungen dazu an (vgl. Rost 1998). - zurück - Endnote 2: Es scheint bei den Autorinnen das Vorurteil vorzuliegen, dass dem schriftlichen Diskurs nicht die gleiche Flüchtigkeit in Bezug auf die Formulierung von Ergebnissen zugestanden werden sollte, wie dem mündlichen. Hier zeigen sich Reste einer Magisierung des geschriebenen Wortes. - zurück - Endnote 3: Dies geschieht, um nur die Stichworte zu nennen, durch Workflow- und Geschäftsmodell-Systeme, Content-Management-Systeme, Document-Managing-Systeme, Wissensdatenbanken, Autoren- und Redaktionssysteme. - zurück - Endnote 4: Obwohl ein solches Verständnis etymologisch naheliegen mag: "Maschine [frz., aus grch. mechane >Werkzeug<], jede Vorrichtung zur Erzeugung oder Übertragung von Kräften, die nutzbare Arbeit leistet (Arbeitsmaschine) oder die eine Energieform in eine andere verwandelt (Kraftmaschine) (...)" (DTV-Lexikon 1995: 11/ 294). - zurück - Endnote 5: Im Zuge der kommunikationstheoretischen Wende der Soziologie wird der technische Ausgangspunkt der industriellen Revolution heute gern auf die Gutenbergsche Druckmaschine mit beweglichen Lettern vorverlegt (vgl. Goody et al. 1986/ Haarmann 1990). Sie erst machte "Papiermaschinen" in Form von gedruckt-verschriftlichter und -gezeichneter Kommunikation möglich. - zurück - Endnote 6: So wie die Dampfmaschine die Voraussetzung für ihre eigene Entwicklung im Hinblick auf Steigerung ihres Wirkungsrades war, so sind das heutzutage Programmcompiler, die durch Selbstkompilation ihr Leistungsspektrum vergrößern. - zurück - Endnote 7: Diese Differenz, nämlich zugleich als Medium und Maschine zu operieren, kennzeichnet speziell den Computer gegenüber den anderen Verbreitungsmedien (vgl. Esposito 1993). Halfmann universalisiert diese Unterscheidung dann noch einmal durch die Unterscheidung in Medium und Installation (vgl. Halfmann 1996). - zurück - Endnote 8: Nach Fuchs (vgl. Fuchs 1997) markieren Adressen die Re-Entry-Stellen kognitiver Systeme. Damit fungiert eine Adresse gerade auch als ein Kontaktpunkt eines Systems zu sich selbst. - zurück - Endnote 9: In der weniger adretten Variante ist auf E-Mail-Schnüffelsoftware hinzuweisen, wie sie Nachrichtendienste (Ruhmann/ Schulzki-Haddouti 1998) oder offenbar auch Betriebe einsetzen (erste Hinweise vgl. Schmitz 1996). - zurück -
Endnote 10: Aus dem Buch
"Soziologische Gesellschaftsbegriffe - Konzepte moderner
Zeitdiagnosen" (Kneer/ Nassehi/ Schroer 1997) seien die
Überschriften aufgezählt:
Endnote 11: Im Zuge der Vollendung des Projekts der Industrialisierung wäre es im übrigen plausibel anzunehmen, wenn als allgemeine Kompetenzen neben Rechnen, Lesen und Schreiben das Programmieren hinzuträte. Automaten liessen sich dann nicht nur autonom bedienen sondern herstellen. - zurück - Endnote 12: Schließlich arbeiten die vielen derzeit wieder neu eingestellten Informatiker und Programmierer auch jenseits von CASE ("Computer Aided Software Engineering") fieberhaft an der Abschaffung ihrer Arbeitsplätze, indem sie die netzgestützt-automatisierte Erstellung von Software, etwa auf Grundlage von Java-Beans, ausbauen. - zurück - Endnote 13: Hier zeigen sich die Probleme, die auftreten, wenn ein Begriff, der ausschließlich zur Kennzeichnung von Strukturen organisatorischer Systeme geeignet ist, generalisiert als Gesellschaftsbegriff verwendet wird. Wenn man außerdem feststellt, dass die theorieleitende Bezeichnung einer Gesellschaft nach nur einem Funktionssystem, hier als "kapitalistisch", unzureichend ist, dann war offenbar die Frage "Industriegesellschaft oder Spätkapitalismus?" (vgl. Adorno 1969) in jeder Hinsicht perfekt falsch gestellt. - zurück - Endnote 14: Dabei gilt es, soziologisch zunächst von den Bedingungen der Kommunikation auf das Vorliegen von Organisation zu schliessen und sich nicht vordergründig von ummauerten Räumen mit Schreibtischen, Fertigungsstraßen und Organisationsstrukturen beeindrucken zu lassen, auch wenn diese sich wiederum auf die Formung bestimmter Kommunikationen auswirken. - zurück - Endnote 15: Ich habe die vorindustriell-zunftartigen Sozialverhältnisse insbesondere der Hochschulen, mit unterschiedlichen Graden der Auflösung, einmal durchdekliniert in: Rost 1996a; Rost 1996f; Rost 1997c. - zurück - Endnote 16: Dieses Konstrukt Scientific Community entspricht im Bereich des Wissenschaftssystems der Figur der invisible hand der Ökonomie und der öffentlichen Meinung der Politik (vgl. Luhmann 1999: 21), referenziert dabei aber zugleich, im Unterschied zu den beiden anderen Figuren, auffälligerweise nicht auf Gesellschaftssysteme, sondern auf "Gruppe". Auch dies liesse sich als ein weiteres Indiz für die relative Unterkomplexität der Wissenschaftsorganisationen werten. - zurück - Endnote 17: Dies stellt im Wissenschaftssystem ein ungleich größeres Problem dar als in anderen Funktionssystemen, mit Ausnahme der Kunst, die gleichsam funktional spezialisiert immer genau auf das Andere zielt. Paradoxerweise muss sich ein Wissenschaftler darauf verlassen, dass beispielsweise eine paradigmatisch hochbedeutsame Konstante wie die Lichtgeschwindigkeit tatsächlich eine Konstante ist, und doch muss er jederzeit damit rechnen, dass sich das Gegenteil herausstellen könnte. So legt eine Meldung der Zeitschrift Nature vom 21. Juli 2000, die mit Berichten zu neuen Experimenten aufwartet, neue Deutungen der "Konstanten" nahe. - zurück -
Endnote 18: Derzeit haben die bestehenden
Wissenschaftsorganisationen, außer der trivialen
Präsentation von Web-Seiten, noch wenig Greifbares im Hinblick
auf den Einsatz neuer Kommunikationstechniken zu bieten. Einigen
Fachgesellschaften ist aber zumindest das Bemühen nicht
abzusprechen. Siehe dazu den Schlussbericht der IuK-Initiative "Entwicklung von Konzepten zur
Neugestaltung der elektronischen Information und Kommunikation in
Wissenschaft und Technik durch die 4 Fachgesellschaften DMV, DPG, GDCh
und GI", vorgelegt von Prof. Martin Grötschel. Diesen vier
Fachgesellschaften (Deutsche Mathematiker-Vereinigung, Deutsche
Physikalische Gesellschaft, Gesellschaft Deutscher Chemiker,
Gesellschaft für Informatik), die die IuK-Initiative 1995
starteten, sind inzwischen weitere Fachgesellschaften beigetreten:
Endnote 19: Bislang versucht man sich damit zu behelfen, Schlüsselwörter entweder in der Subject- bzw. Betreff-Zeile oder im Header der E-Mail unterzubringen, die eine Vorauswahl zu treffen gestatten, so dass ein konzentriertes Verfolgen bestimmter Themen im gleichen Kanal erleichtert wird. - zurück - Endnote 20: Dieser Unterschied zur Symposium-Situation könnte jedoch von dem Moment an schwinden, von dem an die Mikrofone für Sprecher zwecks Dokumentation des Symposiums an Spracherkennungssysteme angeschlossen sind, wie sie seit 1996 für PCs angeboten werden (Ohlendieck 1997). Ein solches System würde Sprachbeiträge nicht nur vertexten, sondern könnte darüberhinaus zu jedem vom Sprecher soeben verwendeten Wort selbsttätig Informationen zusammenstellen, die sich zur Stützung von Argumenten abrufen liessen. - zurück - Endnote 21: Wenn die Zahl an Paralleldiskursen zunimmt und sich bestimmte Themen stabilisieren, behilft man sich derzeit damit, eine neue, thematisch verengte Mailinglist zu gründen. Die ML-Luhmann ist auf diese Weise aus der ML-Soziologie hervorgegangen. - zurück - Endnote 22: Mit dieser klassischen Form der vorwegnehmenden Bewertung durch Experten (Redaktionen, Gutachter, Lektorate) haben auch altehrwürdige wissenschaftliche Zeitschriften kein Problem: Sie nutzen das Internet als einen weiteren Vertriebsweg. Nach ein zwei Jahren des Bangens und Zögern Mitte der 90er Jahre entdeckten sie, dass ihre Funktion für die Wissenschaft nicht darin besteht, das knappe Gut "bedruckbares Papier" zu verwalten, sondern für ein erwartbares Beitragsniveau zu sorgen. Dafür reicht es zunächst, die traditionellen Auswahl- und Bewertungsverfahren auf das neue Medium zu übertragen. Allerdings müssen zunächst sowohl die Arbeitsgeschwindigkeit zur Produktion der Urteile drastisch erhöht als auch Ansprüche an maschinelle Recherchierbarkeit von Beiträgen befriedigt werden. Außerdem wird sich erweisen müssen, ob Fachzeitschriften mit dem Umstieg auf das elektronische Medium ihre teilweise unverschämt hohen Preise wie für die Printausgaben werden halten können (vgl. Bär 1999). - zurück - Endnote 23: Nicht ganz so demokratisch fair wie die hier vorgestellten, aber in der Praxis offenbar tauglich, ist das Scoringverfahren, das bei Slashdot, einer weltweit einflussreichen Online-Publikation, benutzt wird. Hier können Autoren, die fortgesetzt gute Beiträge publizieren, in einer durch Punkte angezeigten Redaktionshierarchie aufsteigen und ihrerseits Beiträge anderer Autoren bewerten. - zurück - Endnote 24: Hinzukommt ein weiterer Aspekt, der zumindest noch ganz knapp erwähnt werden sollte: Das oben knapp vorgestellte Modell einer Autoren- und Themenbörse könnte die ökonomisch bislang prekäre Situation für Autoren elektronischer Medien ändern. Technisch wäre es sinnvoll, wenn neben der Börsennotierung der Abruf einer Homepage, auf der sich ein Diskussionsbeitrag befindet, dazu führte, dass automatisch ein kleiner Betrag, in der Größenordnung vielleicht eines Bruchteils eines Pfennigs, von dem elektronisch zugänglichen Konto des Abrufers auf das ebenfalls elektronisch zugängliche Konto des Autoren automatisch überwiesen würde. Optimal wär es, wenn eine Abrechnungsfunktionalität bereits vom Netzprotokoll vorbereitet und unterstützt würde. Diskussionen zu diesem Thema werden seit langem unter dem Stichwort Micropayments und ip6ng geführt. - zurück - Endnote 25: In Organisationen ist derzeit die Verwendung von Textverarbeitungen das größte Differenzierungshindernis, gerade weil deren Installation gemeinhin als gelungene, und damit abgeschlossene Differenzierung begriffen wird. - zurück - Endnote 26: Vermutlich anhand auch von Überlegungen, die bereits im Zusammenhang mit der "Hyper-G"-Technik eine Rolle spielten (vgl. Dalitz/ Heyer 1995). - zurück - Endnote 27: Eine interessante Verbindung der verschiedenen Netzdienste unter Nutzung ihrer jeweiligen Stärken bietet, unter einer einzigen Oberfläche integriert, DeleGate. - zurück - |